Tilmann Moser

Ernst Ludwig Kirchner: Die Straße - Drei  Akte auf  schwarzem Sofa - Selbstbildnis als Soldat 

Die Straße (1913). Museum of Modern Art, New York, Drei Akte auf schwarzem Sofa (1910). Bündner Kunstmuseum, Chur, Selbstbildnis als Soldat (1915). Allen Memorial Art Museum, Ohio

Leichte Mädchen

Die Linke: Du, Elvira da schaut einer mich an, als ob er mich auswählen wollte. Ich bin wahnsinnig aufgeregt, es ist mein erster Tag, wie begrüßt man so jemand, soll ich ihn sitzen, er schaut ganz nett aus, von dem würde ich am liebsten kein Geld nehmen. Außerdem guckt er so lieb und unsicher, und ein bisschen traurig. Und schüchtern. Und er schaut und schaut wieder weg, wie verlegen. Ich will ihm mit den Augen winken. Der hat Angst vor euch erfahrenen. Hoffentlich ist er nett und tut mir nicht weh. Auch Elvira, ich muss einfach mal meinen Arm um deine Schulter legen, das macht mir Mut. Du, der kommt wirklich auf mich zu.

Elvira: Carmen, du Lämmchen, du bist nicht zum Verlieben da, auch wenn du noch keinen Freund hast, du bist gerade ausgebüxt von zuhause und willst deine kranke Mutter unterstützen. Mach dir nur nichts vor, dass du es nur mal so grade probieren willst. Entweder du nennst ihm deinen Preis, ob wir schicken dich gleich nachhause. Bring uns bloß keine Romantik rein hier, sonst erinnerst du mich an meinen Anfang weit draußen am Stadtrand. Eine hat mir auf dem Tanz schöne Augen gemacht, ich war 15 und ziemlich weg von ihm, ein bisschen angesäuselt, und es wurde spät, die letzte Tram weg, er nahm mich mit nachhause. Hat mir schön getan und immer nachgeschenkt, und dann ist es halt geschehen Wir haben uns noch ein paar Mal getroffen, er hat mir weiter schön getan und gesagt, er will mit mir gehen, aber wir brächten Geld, er sei aus der Lehre geflogen. Da hat er mir Leid getan, weil sie Vater ihn angeblich verprügelt hat. Und dann hat er mich eben anschaffen geschickt, und mit dem schönen Schöntun war's bald zu Ende. Du musst noch viel lernen. Ich warte, bis du fertig bist, heute scheint keine Stämmige gefragt. Und dann kannst du mir was erzählen, ob er überhaupt genug Geld bei sich hatte, und wie du ihn wieder los geworden bist.

Kokotten

Antonia, rechts: Ihr habt gut reden, mich hat einer grade so fertig gemacht, er wollte und wollte nicht kommen, ich musste ihr nachzahlen lassen, aber jetzt bin ich erst mal erledigt. Ihr könntet mir was zu Trinken bringen und mich eine Runde schlafen lassen, ich gehe hinter den Vorhang, kann grade keinen mehr sehen.

Elvira: Muss ich euch jetzt beide beschützen, eine davor und eine danach? Ihr seid mir eine Gesellschaft .Aber wenigstens habt ihr zu tun. Und du Kleine, geh und lass dich bloß nicht runter handeln. Klare Preise sind wichtig. Raufgehen kann man immer mal.

Die Straße (1913)

Dame in Lila: Antonia, die eleganten Herren scheinen heute sparsam und zurückhaltend, um nicht zu sagen geizig. Die haben wohl im Cabaret zu viel Eintritt bezahlt oder wissen noch nicht so recht, was sie wollen.

Aber Victoria, schau dir doch mal den neben uns an. Wenn der sich endlich traut uns anzusprechen und nicht immer wieder wegschauen muss, um Mut zufassen. Oder kennst du ihn. Nein? Dem sind zwei Damen entweder zu viel, oder es ist einer, den du anlächeln musst. Sollen wir losen?

Antonia: Losen nicht, aber knobeln, heimlich. Oder sollen wir noch ein bisschen bummeln, bis ein Mutigerer kommt?

Victoria: Recht hast du, wir machen einfach kehrt, vielleicht erwischen wir ein Freundespaar. Das bringt auch mehr. Hättest du Lust?

Antonia: Natürlich, Zusammenarbeit vertieft die Freundschaft, wir haben schon genug gestritten die letzten Wochen. Und wenn wir kein Double finden, dann bin ich wie immer gespannt, wer sich zuerst bei einem einhakt. Wir könnte ja mal wetten. Und wenn uns keine beide will, dann marschieren wir nach Mitternacht getrennt.

Victoria: Einverstanden. Bis wie viel gehen wir runter, wenn einer verhandeln will?

Antonia: Dann müssen w i r erst verhandeln, je nachdem, nach wie viel es aussehen könnte. Dafür hast du ein besseres Auge,das habe ich schon gemerkt, und das merke ich auch an deiner Wohnung, in die du mich mal wieder einladen könntest. Sag mal, gehst du manchmal auf für ganze Wochenenden mit, aufs Land, wenn eine genug Geld und ein flottes Auto hat?

Victoria: Frag nicht zu viel, ein paar Berufsgeheimnisse möchte ich schon behalten. Aber weil du es bist: Das mache ich nur mit wenigen Stammkunden, dann weiß ich, was die für Ansprüche haben,und ob sie drüber hinaus spendabel und unterhaltsam sind.

Antonia: Von dir könnte ich noch allerhand lernen.Sag mal, wie lange lebst du schon so.

Victoria: Seit meiner Scheidung. Der Kerl hat sich finanziell geschickt aus der Affäre gezogen, weil er mich einmal bei einem Seitensprung erwischt hat. Aber das war die Ehe eh schon gescheitert. Er hat´s ja viel schlimmer getrieben. Am Schluss nur noch gelogen. Ich glaube angefangen hab´ich aus Wut und aus Rache.

Letzter Trost

Selbstbildnis als Soldat (1915)

Die Forschung ist sich nicht einig, ob es bei der Nackten um ein Modell, seine Geliebte oder eine Prostituierte handelt.

Junge, du bist leider nicht zum Vögeln gekommen, das brächtest du auch gar nicht mehr fertig. So bleich wie du bist,, bist du entweder krank oder nimmst Drogen. Deine Augen sind jetzt schon tot, bevor du an die Front musst, und dein Blick schaut in einen Abgrund, in den man als gesunder Mensch nicht blicken möchte. Du hast geredet wie ein Wahnsinnige, von Angst getrieben, mit Schreckensbildern im Kopf, die du mir ausmalen wolltest. Manchmal dachte ich, dich hält nur noch die Uniform zusammen, bevor du auseinander fällst. Und im Delir hast du dir Selbstverletzungen ausgedacht, die dich in ein Lazarett bringen könnten.

Aber täusch' dich doch nicht, die Militärärzte wissen wie selbst zugefügt Wunden aussehen. Willst du ein par Monate oder Jahre in den Bau. Wärst an der Front, dann würdest du erschossen, die machen da kurzen Prozess: Feigheit vor dem Feind, du wärst Feigling und Verbrecher gleichzeitig, und irgendwo verscharrt. Oder nimmst du schon Medikamente, die dich dem Tod näher bringen, hoffst du auf ein Sanatorium oder eine Irrenanstalt?

Du hast so wahnwitzige Ideen produziert, dass es mich gegraust hat, aber so echt, dass ich mit Augen zu sehen glaubte, dass du mit einer abgehackten Hand herum läufst. Ich hab' mich ausgezogen, ohne dass du es verlangt hast, um dich ein wenig aufzuheitern. Aber du hast dich einfach abgewandt, und ich,die ich mich sonst wenig schäme, habe mich geschämt und war wütend. Ich war, weil du meinen Körper gar nicht wolltest, schamlos aus Barmherzigkeit. Und auf einmal hat es mich in der überheizten Bude gefroren und ich habe nach meinen Kleidern gegriffen.

In den letzten Monaten kommen viele Soldaten auf Urlaub, aber auch Verwundete, die Trost suchen, auch eklig-geile Böcke, denen du die Angst anmerkst vor ihrer Abreise nach Frankreich, und die nur noch rammeln wollen, um die Angst noch einmal zu betäuben. Ich mache mir nichts vor, wohin dieser Krieg führt. Zu viele Tote, zu viele trauernde Freundinnen und Frauen, die nur noch mühsam ihre Kinder durchbringen. Und ihr, die noch die Stiegen hochkommt zu mir, seid längst heimatlos, verraten,in sinnlose Kämpfe kommandiert, aber in den Zeitungen lese ich von Helden und von Heldentod, unerschrocken Stürmende und auf Bahren zerfetzt aus der Schusslinie geholt, wenn viele nicht gleich leblos in den Granattrichtern liegen bleiben.

Ich habe im Frieden angefangen mit meinem Gewerbe, da war noch Begeisterung in der Welt und schneidige gesund Männerkörper zuhauf, die haben noch anders gevögelt, bevor sie in die Züge stiegen, von draußen war Militärmusik zu hören und ab zu Hurrageschrei. Hau ab Kamerad, ich weiß nicht wo du enden wirst. Aber du hast den Tod im Gesicht.