Tilmann Moser

Gottlieb Schick: Wilhelmine von Cotta

1802, Staatsgalerie Stuttgart

Ich schaue ins Unbekannte, prüfend, erwartungsvoll, selbstbewusst, vielleicht ein wenig geringschätzig. Den Blick vermeide ich nicht zufällig: jeder Zuschauer würde mich in eine realen Menschen verwandeln, in eine, ich sage es ungerne, eitle Frau, die ich in Pose gesetzt hat, aber für wen? Das Bild ist ein Geschenk des wohlhabenden Gatten, für mich, für ihn, oder ein Aushängeschild fürs das Unternehmen, für die Eingangshalle des endlich fertig gewordenen repräsentativen Hauses? Jedenfalls gefalle ich mir so, mehr als ich jemals einem Anderen gefallen könnte. Denn der sieht nicht mein geheimes inneres Bild von mir, und wenn er es sähe, wäre er vielleicht erschrocken, würde mich tadeln, an meinem Charakter zweifeln, mich gar der Hoffahrt zeihen.

Hoffahrt ist Sünde, hat uns schon der strenge Herr Pfarrer im Kindergottesdienst gesagt. Eitelkeit ist nicht gottgefällig, wir sollen demütige Kinder werden. Ich war schon damals wütend, weil ich immer dachte, er meint mich, und auch eine solche Wut war Sünde. Wusste er nicht, dass ich Vaters kleine Prinzessin bin, in die er vernarrt ist, und mit der er sich schmückt, wenn er sonntags auf dem Corso wandelt. Der Maler hat meine Prinzessinnenphantasie erkannt, oder hat mein Gatte sie ihm vermittelt, im antikisierenden Bildungsgespräch und den geheimen Wünschen nach überzeitlicher Schönheit, in biedermeierlicher Krönung der Darstellung?

Sitzen so nicht Göttinnen auf Tempelfriesen oder zeigen sich auf Sarkophagen, die ein trauernder Heros mit erworbener Kriegsbeute in Auftrag gegeben hat, der seine Gattin bei de Heimkehr von einem Feldzug nur im Grab vorgefunden hat. Erkennt der Betrachter, dass ich ein Monument sein soll, seiner Liebe und seiner Verehrung: Und so ist es ein Moment meiner Selbstliebe geworden. Ein unwohl Wollender könnt sogar spotten: gilt der abschätzige Blick nicht einfach dem Gesinde, das meine Befehle missverstanden hat, oder den ungebärdigen Kindern, die gleich von draußen hereinstürmen werden und die Selbstandacht rücksichtslos stören.

Die Zofe des Malers hat mich, nach den Anweisungen des Malers, auf meinen Sitz plaziert, mich draiert, das fließende Kleid geordnet, die den Körper kaum verhüllenden Falten gezogen, Arm- und Handbewegungen ausprobiert,, die zierlichen Schuhe hervorlugen lassen, die Locken um den Nacken gekringelt, das Haupthaar zu einem Gebirge getürmt, das den Thron, die harte Holzbank weicher gestaltende Tuch in langer Erprobung wie eine musikalischen Kontrapunkt gestaltet.

Das Bild hält so einen Ewigkeitsmoment fest, ich darf nicht daran denken, was geschehen wird, wen ich mich wieder erheben muss. Wird Lächerlichkeit überfallen, Gefühle aus Alltagsprosa, die Pläne fürs Mittagessen oder die Wochenabrechnung fürs Personal. Oder die Planung für die große Wäsche am anderen Morgen, mit den unzuverlässigen Wäscherinnen und den schwatzhaften Büglerinnen. Oder das Abendmenue mit den arroganten Kunden, denen ich schön tun soll. Was wird sichtbar werden, wenn die Zofe mich umständlich wieder entkleidet? Ich kenne meine kleinen körperlichen Mängel leider zu genug. Meine Beine sind ein wenig zu dick, die Füße längst nicht so zart wie auf dem Bild, und auf die Hüfte schaue ich nicht so gerne im deckenhohen Spiegel.

Und die Natur um unser Anwesen herum sieht leider anders aus als die Landschaft, vor die mich der Maler gesetzt hat. Exotisierender naher Hintergrund, feingliedrige Zweige und großblättrige Wucht, Andeutungen meines widersprüchlichen Charakters, als hätte er in meinem Inneren gelesen und es andeutend und verhülltend nach außen gekehrt. Und dann der Park, der Ausblick in die Weite, die von schützenden Pappeln wie von einem Vorhang geöffnet und doch wieder ausgegrenzt wird.

Ein räumlich vielstufiges Bühnenbild, für mich in wogenden Farben herbeigezaubert. Ich will, dass die Zeit in diesem Augenblick innehält. Wenn sie mich verrät und einfach weitergeht, falls ich heraus aus dem geheimen Selbstbild und werde mir wieder fremd, so wie ich jetzt in eine eine andere, strahlende Fremdheit eingetaucht bin, die mich schützt vor der nüchternen Alltäglichkeit. Die ist manchmal nicht auszuhalten.

Sieht man meinem Rätselgesicht etwa auch an, dass ich manchmal mit dem Leben hadere, dass die Kindheitsträume sich gar nicht erfüllt haben, dass der Gatte mich verklären will, weil die Liebe erloschen ist und ich mich in Selbstliebe flüchten muss? Mich mit gekaufter Inszenierung tröste. Es es ein Bildnis verborgenen Jammers geworden?