Tilmann Moser

Max Liebermann: Simson und Delila

1902, Städel

Liebermann hat einen anderen Moment gewählt für seine Szene, wenig Stunden später im potentiellen Ablauf der Ereignisse: Die Erpresser sind noch nicht sichtbar, und doch scheinen sie schon ungeduldig Zeugen zu sein, denen Delila ihren bitteren Triumph sofort nach der Tat entgegen hält. Sie ist noch nackt, das Bett zerwühlt. Ob Simson wieder schläft, scheint eher unwahrscheinlich, er hat sich gedreht aus ihrem Schoß, seine Stirn fällt auf den eigenen Arm, sie drückt den Kopf nieder, als ob sie endlich ihres Sieges sicher sei, nach seinen sie demütigenden Ausflüchten.

Delila: Seid ihr endlich zufrieden, ihr Scheusale, die ihr mich doch retten müsst vor dem sicheren Tod! Oder werdet ihr mich foltern und töten lassen, trotz eurer verführerischen Versprechen. Oder werdet ihr mich ins Hurenhaus sperren, dass viele geile Freier sich nun an mir austoben können. Ja, ich habe ihn geliebt, wo ihr nur Geilheit und Gier sehen wollt. Macht mit ihr, was ihr wollt. Mir bleiben kostbare Erinnerungen, Bilder unvergleichlicher Lust, von der meine Körper noch voll ist.

Simson: Wo eben noch Lust war, drückt Grauen meinen Kopf nieder. Noch versuche ich, ein entsetzliches Erwachen hinauszuzögern. In den Körper strömt das Gift einer unermesslichen Schwäche, die mir immer so fern war. Ich will nach dem dahinschwindenden Leben greifen, aber die Hand wird wohl nie mehr greifen. Ich spüre kein Streicheln mehr, nur noch unter Druck eindringende Nägel in meine geschorene Kopfhaut. Und mir ist unendlich kalt.