Tilmann Moser

Piero della Francesca: Kreuzaufrichtung

San Francesco (Arezzo)

Wir drei schuften nicht nur, wir reden zwischendurch auch miteinander. Normale Verbrecher, wenn es nicht grade zu viele sind, die auf diese grausame Weise zu Tode kommen sollen, für die nimmt die römische Besatzung auch einmal die gleichen Kreuze, wäre sonst ja auch Verschwendung. Aber diesmal nehmen es die Römer wie der Hohe Rat genauer: ein frisches Kreuz soll es sein, breit und glatt gehobelt, wie für einen Staatsverbrecher, und schnell musste es gehen, wegen dem kommenden Sabbath, deshalb machen wir Sonderschichten, die zwei mit zu Kreuzigenden kriegen ungehobeltes Holz. Die Verurteilung soll ruckzuck vor sich gegangen sein, nachdem Pontius Pilatus den Jesus nicht vor dem Todesurteil retten konnte. Brücken genug hat er ihm gebaut. Aber die Pharisäer gaben sich nur mit einem Todesurteil zufrieden, und der Gangster Barnabas kam unverdient frei.

Der linke Zimmerer: „Du da hinten, drück´ stärker, ich will, dass das Ding endlich steht!“

Der Hinterste: „Du hast gut reden, ich strecke mich, so gut ich kann, aber die zwei hinter uns sind lahme Kerle, dabei haben sie den besseren Hebel.“

Der Mittlere: „Hört auf zu streiten! Für mich ist der Verurteilte der Messias. Ich bin ganz schwach vor Kummer und Elend..“

Der Hintere: „Für mich ist er ein Verbrecher, ein Aufwiegler, er hat zu viel Unfrieden gestiftet. Es war Zeit, dass er verhaftet wurde!“

Der Vordere: „Mir ist es egal, was er angestellt hat. Für mich zählt die lausige Extraarbeit in dieser Eile. Aber dafür gibt es doppelten Lohn.“

Der Hintere: „Denk an diesen verrückten Massenaufmarsch kurz vor Ostern. Das ohrenbetäubende Hosiannagebrüll. Natürlich wurde es den Behörden zu bunt. Der kommende König der Juden, das Reich Gottes! Alles Zinnober!“

Der Mittlere: „Es steht schon lange fest, dass er endlich kommen soll. Ich glaube noch immer an ihn.“

Der Vordere: „Bald fressen ihn die Raben, dann ist es vorbei mit der Erlösung. Mir tut nur seine Mutter Leid. Und so viel Folter und Spott wäre auch nicht nötig gewesen. Unsere Oberen sind manchmal grausamer als die Römer.“

Der Mittlere: „Es steht in der Thora, dass er leiden muss, bevor sein Los erfüllt sein wird. Und genau so, wie es voraus gesagt war, ist es gekommen. Ihr seid keine richtige Juden, wenn ihr der Schrift nicht glaubt.“

Der Hintere: „ Jetzt fangt nur keinen politischen oder religiösen Streit an. Das vergrößert nur das Unglück. In der Schrift steht auch viel absurdes Zeug! Wenn der Stamm steht, geh ich nachhause und denke:Mir macht es nichts, wenn er langsam stirbt. Er hat es verdient. Der Gouverneur wollte Ruhe haben, und das hat er erreicht.“

Der Vordere: „In der großen Politik weiß man nie, wer wem in den Arsch gekrochen ist, Feiglinge sind sie alle! Strengt euch endlich mehr an!“

Der Mittlere: „Halt du das Maul, dir kann es nicht schnell genug gehen.“

Der Vordere: „Ja, weil mir die Schulter weh tut, und weil mir die Kleidung verrutscht.“

Ein Zuschauer von hinten: „Dem hängt ja der halbe Sack aus dem Rock!“ Gelächter.

Ein anderer Zuschauer, hämisch: „Halt du dein dreckiges Maul! Guck doch wie die schuften, geiler Faulpelz!“

Der Hintere: „Schauspielgieriges Volk. Ich kenne euch doch. Bei jeder Hinrichtung so nahe wie möglich beim Galgen. Gierige Gaffer, schaulustiges Gesindel. Man wird ja seines Henkerhandwerks nicht mehr froh! Mir geht es immer besser, wenn es vorbei ist.“

„Was die Mitgekreuzigten wohl denken, wenn sie den Unterschied der Kreuze sehen?“

Der Mittlere: „Der eine soll gläubig sein, den drängst auch schon ins Reich Gottes. Kann er bald haben.“

Der Hintere: „Ein Trittbrettfahrer, ein Schleimer! Schmeißt sich gleich an den König der Juden ran! Ich glaube nicht, dass er oben ankommt, wohin euer Heiland zurück will.“

Der Vordere: „Wenn ihr jetzt nicht aufhört mit eurem Gezänk, dann lasse ich los, dann könnte ihr sehen, wo ihr bleibt. Ich zähle jetzt auf drei, dann gibt’s einen Ruck, und der Baum steht! Der Rest geht uns nichts an! Los, ich sehe schon die Prozession den Berg heraufkommen.“