Tilmann Moser

Religiöser Terror

Tilmann Moser (2015)

Meist bekommt man schon als Kind oder Jugendlicher die religiösen Grundwahrheiten eingeflößt. Zur abendländischen Wahrheit gehörte in beiden christlichen Religionsgemeinschaften, dass es Ketzer gibt, die den Namen Christ nicht mehr verdienen; dass sie deshalb bekämpft werden müssen, zum Beispiel im Dreißigjährigen Krieg, der auf den Sieg und die Auslöschung des gegnerischen Bekenntnisse ausgerichtet war. Jahrhunderte oder Jahrtausende davor gab es bereits Religionen, die mit ihrem eigenen Glauben verbanden, dass er der einzig wahre sei, und alle Abweichler, Ungläubige, Zweifler, Wahrheitsverdreher, Verblendete, Unwürdige, Gotteslästerer, Böswillige, usw. entweder zu bekehren, auch zwangszubekehren, oder zu deportieren, zu bekriegen und zu vernichten seien.

Daran durfte nun wiederum, bei Todesstrafe oder Androhung des Paradiesverlusts, nicht gezweifelt werden, im Gegenteil: es galt, die Kampfeswut anzustacheln und zu missbrauchen, im Dienst der jeweiligen Religion oder deren staatlichen Trägern. Mehr oder weniger fanatischer Glaube an die jeweils allein selig machende Leere war durchaus willkommen. Diese Kombination von absoluter Wahrheit und ständig geschürtem Missions- oder Vernichtungswillen trug auch das Engagement der Kreuzzüge, für den kämpferischen Islam ist sie im Koran nachzulesen über den Propheten, der neben friedlicher Verkündigung auch die des Eroberungs- und Vernichtungskrieg predigte, die neuerdings die brutalen Islamisten propagieren.

Was derzeit mit dem religiöse gestützten Terror im Mittleren Ost geschieht, ist nur die Radikalisierung eines beliebig zu vertiefenden Feindbildes, der Andersgläubige, sogar innerhalb der moslemischen Gesamtglaubensgemeinschaft des Islams, auf die Ebene von Untermenschen herabdrückt, von „Schweinen“ und zu vernichtender Teufelsbrut. Es ist die Erbarmungslosigkeit deines Feindbildes, aufgestachelt durch immer raffinierter werdende Propaganda für gemeinschaftliches Morden oder Ausrotten ganzer Bevölkerungsgruppen, je grausamer desto besser.

Es ist dieser absolute genommene „Wahrheitsbegriff“, der alle Hemmung löst und eine von Barbarei gestütztes gemeinsames Überich kreiert, das keinerlei Hemmungen mehr unterliegt: Lob, Triumph, das Gefühl der siegreichen Glaubenserfüllung inmitten des Blutrausches sind die Folge.

Es ist eine Eigentümlichkeit so vieler Religionen, dass sie die eigenen Wahrheit oder Ideologie absolut setzen, „Ich bin der Herr dein Gott, Du sollst keine anderen Götter neben mir haben“, weil Gott bei Nichtbefolgung der absoluten Treue selbst schwere Strafen oder die Vernichtung androhen. Schon im Alten Testament gibt Jahweh ganze Völkerschaften, die dem Landgewinn der Israelis im Weg stehen, der Ausrottung preis, weil sie als Heiden, Ungläubige oder Barbaren dem Erwählten Volk nicht weichen wollen.

Der alttestamentarische Gott scheu sich auch nicht – in der Sprache eines eifersüchtigen, kontrollierenden und rachsüchtigen Liebhabers – sich selbst einen einen eifersüchtigen Gott zu nennen, der sich ein Verfügungsrecht über die Gläubigen anmaßt, weil er sie doch ausdrücklich sein „auserwähltes Volk“ genannt hat, von dem er absoluten Gehorsam fordert und sie über alle anderen Völker hinaus hebt. Dafür sollten sie ewig dankbar sein, ihn rühmen, und rühmen, ihm hörig sein und ihren Glauben auch in zerstörerischer wie unterwürfiger Weise bekennen. Ähnliche Worte wählen auch die von ihm ernannten Führer, Missionare und Prediger, die die Bereitschaft zum Krieg noch ins Fanatisch-Destruktive und Selbstdestruktive steigern können. Gottes herrschsüchtige Eifersucht verbindet sich mit den erwählten oder den unterworfenen Völkern zu eine Symbiose, aus der es kein Entweichen mehr gibt, nur um den Preis der schändlichen Verstoßung, der Folter und der Hinrichtung von Einzelnen zur Abschreckung oder der Niedermetzelung auch großer Gruppen zur Ausmerzung von falschen Lehren.

Es könnte mit dem absoluten Narzissmus von Religionsgründern und späteren Religionsträgern zusammen hängen, dass sie, neben der drohenden Selbstvergottung, auch die von ihnen begründete oder aufgezwungen Religion vergöttlichen und ihren Anhängern auch ein kollektive Selbstvergottung erlauben.

Dem muss ein ebenso tief sitzendes Glaubens- und Verehrungsbedürfnis so vieler unmündig gehaltener Menschen entgegen kommen, weil es Schutz, Geborgenheit, Orientierung, Selbstwertgefühl, Auserwähltheit und Grandiosität durch die Zugehörigkeit verspricht. Das fanatische Wahrheitserleben scheint nach Oben keine Grenzen zu kennen, und wo es dazu noch diktatorisch vermittelt wird, droht absolute Gefahr, heute würde man sagen „für den Völkerfrieden“. Und zuletzt bleibt als „Geschenk“ für die blindwütigen Anhänger, auch um immer neue anzulocken übrig: die großspurig vermittelte feierliche „Erlaubnis zu morden, zu quälen oder in Massen zu vernichten“, nach der viele greifen, weil sie schon als Kinder in Armut, Demütigung, Gier und Hass aufgewachsen sind, deren Rachebedürfnisse leicht durch Ideologie, Massenansteckung und lockende Paradiesvorstellungen mobilisiert werden können.

Paradiesverheißungen können zur Droge werden, die süchtig macht auch in der Grausamkeit, hinzu kommt fast unausweichlich die andere Droge noch im Leben: Das Auserwähltsein mit der Garantie der Straflosigkeit, wie sie Hitler seiner Wehrmacht in Russland auch für Kriegsverbrechen gewährt hat.

Die neuere Anthropologie hat herausgefunden, dass religiöse Bedürfnisse und Glaubensvorstellungen seit Zehntausenden zum Menschen gehören, ja oft zum kollektiven Überleben, aber eben auch zum befohlenen Töten wichtig waren, durch eine elementaren Triebausstattung. Die verschiedensten Forschungsrichtungen stritten über begründende Ursachen: die Gene, bestimmte Gehirnareale, angeborene oder erlernte Kränkbarkeit oder Jagdinstinkt, usw. Alle können in Dienst genommen werden, und eben diese Faktoren werden von sozial stabilisierendem und Angst minderndem Glauben leicht pervertiert zu Destruktion und Grausamkeit. Trost und Missbrauch liege immer nahe beieinander. Beim Missbrauch lassen sich ganze Völker in Blutrausch versetzen und aufeinander hetzten, und die Rückkehr aus dem Hass zum Frieden dauert ähnlich lange wie die Indokrination zum Bösen, um so mehr, wenn eifersüchtige Götter oder Gott ihre mörderisch Macht ausüben und selbstgerechten Hass mir ihren irdischen Helfern gesät haben.

Die abgründige Unerkennbarkeit Gottes macht es möchte, seine Gestalt mit allen möglichen Projektionen anzureichern, ja ihn überhaupt damit zu erst erschaffen: mit seiner Güte, Mütterlichkeit und Väterlichkeit, Fürsorge und Vergebungsbereitschaft. Aber er ist auch das Gefäß der Destruktivität und des Hasses, mit denen uns sogar durch sein dämonischen Bild ermuntern oder gar befehlen kann zu morden.