Tilmann Moser

Gespräche mit Eingeschlossenen

Gruppenprotokolle aus einer Jugendstrafanstalt

Protokolle über eine zweijährige Gruppentherapie mit verurteilten Jugendlichen aus einer Jugendstrafanstalt.

Die hier vorgelegten Protokolle über Gruppengespräche mit straffällig gewordenen Jugendlichen in einer Jugendstrafanstalt waren ursprünglich nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Der Wunsch, die Arbeit in der Gruppe durch regelmäßige Gespräche mit einem Psychotherapeuten 'kontrollieren' zu lassen, wie der Fachausdruck heißt, ließ sich nicht verwirklichen; die Protokolle sollten ein Ersatz dafür sein, ein Versuch der Selbstkontrolle. Der Gedanke an ihre mögliche Veröffentlichung entstand erst in den letzten Monaten der über zwei Jahre sich erstreckenden Gespräche bei ihrer zusammenhängenden Lektüre in einem Augenblick der Desorientierung und Entmutigung. Er wurde gefördert durch die Einsicht, dass Gruppenarbeit im Strafvollzug zu einer Art Zauberwort zu werden beginnt, und dass dem wilden Experimentieren kaum noch Grenzen gesetzt sind.

Auch diese Gespräche sind als Experiment anzusehen, verbunden allerdings mit dem Versuch, es zugleich soweit wie möglich beschreibend zu erfassen, und zwar sowohl hinsichtlich der Vorgänge in der Gruppe wie auch der Art meiner Aktivität, meiner Einstellungen und der Gefühle und Konflikte, die die Gruppenprozesse in mir selbst hervorrriefen. Dabei bleiben ohne Zweifel blinde Flecken in großer Zahl. Kaum eine Situation, wie die des immensen emotionalen Ausgeliefertseins eingesperrter, mit seelischen Konflikten belasteter Menschen an den Gruppenleiter, ist so sehr geeignet, diesen dazu zu verführen, eigene Bedürfnisse nach Macht, Selbstbestätigung, Anlehnung, Manipulation, Liebe, Neugier usw. mitzubefriedigen oder die eigenen Anschauungen und Werte durchzusetzen.

Die Beschreibung der Erfolge und Misserfolge bei dem Versuch, die Gruppenprozesse zu verstehen und weiterzutreiben, mag – und dies ist Hoffnung und Rechtfertigung zugleich – Stoff bieten zur kritischen Diskussion einer Unternehmung, die das Ausmaß der therapeutischen Aufgaben, die mit einer konsequenten Verwirklichung des Resozialisierungsgedankens auf uns zukommen, eher andeutet als aufzeigt.

Erschienen im Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1969. (vergriffen)