Tilmann Moser

Franz von Stuck: Adam und Eva

um 1920-1926, Städel

Eva: Den purpurnsten Apfel biete ich dir an, er soll wie eine Droge wirken, von der du nie mehr freikommst. Es ist keine Frucht zum einmaligen Verzehr. Meine Verführung will Leidenschaft, Liebe, Freundschaft, Treue und Dauer. Von mir aus nenne es auch Verfallensein, bis in alle Tiefen. Deshalb zeige ich mich dir auch nackt, fast nackt, geschützt von meinem begleitenden Untier, das normalerweise unsichtbar in mir haust. Du bist ein schöner und stolzer Mann, aber was dein Wissen um eine Frau angeht, vermutlich doch ein Einfaltspinsel. Deshalb gebe ich mich so offen zu erkennen, damit du nicht gleichzeitig in die lockende Schönheit und das unbekannte Umheimliche taumelst. Ja, nahe dich ruhig und betrachte vor allem Anderen den Apfel und taumle ein wenig zurück, während ich schn ungeniert dein Antlitz studiere und aus mir das lieblichste Flirtgesicht hervorhole. Verbirg deine Begehren und deinen Schrecken nicht. So liebe ich dich nicht. Deine eine Hand ist offen, fast sehnsüchtig, die andere will sich hinter deinem Rücken ängstlich verbergen. Bevor wie uns verbinden, will ich dich auf das Ausmaß unserer Aufgabe hinweisen. Der Apfel ruht nicht nur scheinbar leicht greifbar in meine Hand, sondern verborgen in meiner Hüfte, auf die ich mich kraftholend stütze. Um den Einlass dorthin musst du Prüfungen bestehen und heilige Gelübde ablegen. Ich bin sehr katholisch erzogen. Und auch ich will mich deinen Prüfungen stellen, schmeichelnd, wartend, angriffslustig, gierig erregt, scheu und auch voller Angst, und doch immer geheimnisvoll. Wenn du Kind, Knabe, Jüngling, ruhiger kraftvoller und wilder Mann und weise Alter, Gespiele und Vater mit mütterlichen Regungen bist, sollst du willkommen sein. Ein mühsam gebändigte Unersättlichkeit auf allen Ebenen wirst du in mir finden. Nun kennst du die Palette meiner Wünsche. Wirst du klein angesichts dieser Aufgaben. Recht hast du, an dir immer wieder zu zweifeln, ich hasse männliche Selbstüberschätzung, leide zu gleichen Anteilen an ihr wie du, und kämpfe wie du mit dem Lindwurm der Größenphantasien, wie wie ich mich manchmal winde in Kleinheit und Selbstverachtung, ich hoffe wie du auch.

Dein kleines Gemächt finde ich hübsch und fast rührend ulkig, dein strotzendes faszinierende und erschreckend, zum Beißen und saugendem Verschlingen verlockend. Aber gemach, wird sind erst am Beginn unsere Abenteuers, von dem die Weltliteratur zehren wird. Wer jetzt schon an Kinder denkt, entwertet das Suchen und Finden, das Tasten und das stürmische Ergreifen, die lustvolle und langwierige Vorarbeit und den Sturm der Erfüllung. Mach ich dich neugierig, nach mir suchend, forschend und andächtig, scheu und ungezügelt, kränkbar und fähig zum Verzeihen, vor und nach aller Geilheit gesprächsbereit und zu schweigendem Ruhen fähig? Dann verspreche ich dir, die Schlange zu zähmen und nicht als Beißtier und heimtückische Mordwaffe zu verwenden. Ich mache dich vertraut mit ihr und sie gehört uns gemeinsam, als verbindende Kraft. Sie hilft uns, einander mit allen Sinnen und allen Gedanken zu erkennen. Auch ich bin klein und groß zugleich, schutz- und anbetungswürdig mächtig, anschmiegsam und kratzbürstig, zärtlich und bei Verletzung keifend, aber zähmbar und liebenswürdig, wenn du genug Geduld hast. Nun großer Adamello, wie ist dir zumute?

Adam: Wow, potz, sakradi, deine Beredsamkeit ist umwerfend, wahrscheinlich spreche ich halb so schnell wie du, und ab und zu ein wenig stammelnd oder gar stotternd, dafür wurde ich schon in der Schule gehänselt. Kriegte rote Ohren, fast wie dein Äpfelchen so rot, und der Spott wurde noch intensiver.. War nicht gerade selbstwertfördernd. Habe jahrelang Leistungssport getrieben, um sie alle zum Schweigen zu bringen, und die Mädchen zum Staunen. Aber zu einer Freundin hat es nie gereicht. Ich war so schüchtern wie ich schnell war im Stadion und später auf dem Rennrad. Des Diskus versuchte ich zu werfen wie der auf der antiken Statue, der Name ist mir entfallen. Immer irgendeine Meisterschaft im Kopf, wie später die Suche nach Auszeichnungen und Diplomen. Die haben manches gemildert.

Mit dem widerwärtigen Ehrentitel „Angeber“ musste ich leben lernen, Lehrer haben mehr Demut angemahnt, wen ich auch geliebt werden wollte. Meine zögernde Beinstellung und die leichte Rückwärtsbeugung verstehst du so vielleicht besser. Dass ich die Hüftr leicht nach vorn wölbe, darfst du nicht missverstehen. Ich war nie ein Draufgänger. Aber wenn ich dich sehe, wollte ich, dass ich ein wenig mehr wäre. Ob ich deine forsche Geste als ermutigend deuten kann, weiß ich noch nicht. Was könnte? ich dir Gutes tun? Ich bin nicht christlich erzogen und wollte trotzdem ein Held im Gutsein werden, lieber als kämpfen. Obwohl ich mich zur Ertüchtigung, wenn auch widerwillig, in Ringkämpfe verwickeln ließ. Meine Körperkraft ist eher unbeholfen geblieben. Trotzdem hat mich meine Mutter einmal zu einer Dressman-Auswahl getrieben. Da ist die frühe Röte wieder aufgeflammt, ich habe ihr den mütterlichen Ehrgeiz sehr übel genommen. Beruflich war ich später mit mir zufrieden, obere Mittelklasse, aber nicht mit Reichtum gesegnet. Eigentlich bin ich sogar sparsam geblieben, üppige Mahlzeiten gab es selten. Doch jetzt werke ich, dass ich schon um dich zu werben beginne, dabei siehst du auch, als könnte du ein Leben im Luxus vorziehen. Das schüchtert mich schon wieder ein. Kommst du etwa aus reichem Haus, gar aus adligem? Wo im Park die ganz großen halbwilden Haustiere umherstreifen. Mir geht meine Knabenphantasie durch. Bis du gar eine Prinzessin, die eine Prinzen sucht. Dafür habe ich viel zu viel und aufgeregt Karl May gelesen, da ging es um andere Werte und Bewunderung mit heißem Atem. Später knäbisches Bogenschießen im Wald und Vogeljagt mit dem Luftgewehr. Warum erzähle ich dir solche Dinge.

Ich bin nicht nur Mann, sondern auch Knabe und Jüngling, auch wenn ich den Ausdruck ein wenig schwülstig finde und ihn doch heimlich mochte. Einen starken Vater als Vorbild hatte ich nicht. Das war nicht gerade kräftigend. Im Studium habe ich ein wenig zu drängend die Nähe von bewunderten Professoren gesucht und wollte doch kein Streber sein. Bitte senke nicht deine schönen Augen und wende dich ab. Ich hatte immer auch mit Scham zu tun. Du könntest sie leicht zum Brennen bringen. Du scheinst dich weniger zu schämen. Bist du gar schamlos, vor Menschen und vor dem Spiegel. Ich habe keine Lust, dich um deine Unbefangenheit zu beneiden. Oder ist es sogar mehr: dreiste Eitelkeit. Bitte nimm mir den aufblitzenden Verdacht nicht übel. Ich will dir gewachsen sein und brauche, mag sein, sogar deine Hilfe. Hast du mich jetzt schon der Hand, wie meine Mutter den Vater? Verfluchtes Erbe der Selbstzweifel, niemals abzuschütteln, nur zu mildern. Dich näher zu kennen würde mich stolz machen. Dich zu gewinnen kommt mir vor wie ein Tagtraum. Und doch stehst du leibhaftig vor mit und lächelst mich an. Mich schaudert vor deiner Schönheit. Ein fremdes Ich, ein fremdes Du, und in weiter Ferne ein Wir, unsäglich fern und doch schon zitternd hautnah. Lass uns eine neue Vereinbarung treffen, deine Gegenwart ist für diesen wundersamen Moment zu überwältigend. Gib mir Zeit, Dir kann ich Zeit fast nicht geben, sie könnte verrinnen, ohne dass ich dich wiedersehe. Und doch steht dein Spielbein anders als meines: es weist verheißungsvoll in meine Richtung. Denke nicht, meines weise auf Flucht hin. Betrachte seine Bewegung als tänzerische Scheu, eine nur angedeutete Rückwärtsdrehung. Sollten wir eines Tages miteinander tanzen? Würdest du dich führen lassen, wie man mir das Führen in der weit zurückliegenden Tanzstunde versuchte beizubringen? Ich würde, das darfst du mir glauben, peinlich drauf achten, dir nicht auf die Füße zu treten, und schon wirke ich steif vor lauter Vorsicht und Achtsamkeit. Ach, wie oft wünschte ich, ich wäre ein Andere! Aber für dich doch endlich ich selbst, der gleiche, mit selbst ein Freund. Ein mutiges Ich.