Tilmann Moser

Fritz von Uhde: Schwerer Gang (Der Gang nach Bethlehem)

um 1890

Maria: Josef, das Jahr geht zu Ende, und wir haben noch keine Bleibe, das Kind zappelt und drückt, und mir ist bang, was aus uns werden wird.

Josef: Halte noch eine Weile durch, mir sagte jemand, weiter hinten komme noch ein kleines Wirtshaus mit einem winzigen Bauernhof dabei. Es werden keine hartherzigen Menschen dort wohnen. Gibt mir den Korb mit den zu Ende gehenden Vorräten und den paar Mark. Wie werden uns nicht abweisen, bei deinem Zustand. Vielleicht wirst du dort sogar niederkommen.

Maria: Ich spüre schon die Wehen. Ich hoffe, sie halten uns nicht für Bettler. Ach Josef, diese Schwangerschaft war seltsam, überschattet von einem frühen Traum: mir träumte von einem Engel, der vor mir niederkniete, ich las tatsächlich in einer Heiligengeschichte, in der so etwas vorkam, und er sprach unverständliches Zeug, von dem mir nur in Erinnerung blieb, ich schäme mich, es dir zu sagen: ich sei auserwählt und würde den Heiland gebären. Ich und auserwählt! Als ich einmal einen der Kaisersöhne vorbeireiten sah, in Begleitung von schmucken Offizieren und schönen Damen, da staunte ich und schaute ihnen nach und wollte eine von diesen Hofdamen werden. Schiltst du mich jetzt?

Josef: Ach Maria, Mädchen träumen viel, schau doch in die Märchen. Buben auch, die wollen dann Offiziere zu Pferd sein, oder mindestens Trambahnführer, das kenne ich doch auch, aber es hat sich gelegt.

Maria: Aber Josef, der Traum hat mich begleitet, und in der Kinderkirche war ja schon früh die Rede von solchen Geschichten. Und jetzt kommt das Kind zur Welt, und was soll es werden, ein halb verhungertes Baby oder etwas unsagbar Großes, vor dem ich mich fürchte, ob es mich zerreißt und mir Ruhm oder den Tod bringt.

Josef: Maria, geliebte, du wirst nicht an ihm sterben. Un wie groß er werden mag, das werden wir sehen. Mir reicht ein ordentlicher Hdnwerker, vielleicht kann er sogar meine kleine Werkstatt übernehmen, wenn er gut hineinwächst. Was ich weiß, kann ich ihm beibringen, ich nehm' ihnin die Lehre. Zimmermann ist kein schlechter Beruf.

Maria: Josef, du kannst oder willst mich nicht verstehen: es war kein Traum wie andere, ich fürchtete mich und war doch so ergriffen, das ich ihn nie vergaß, und er wurde immer wirklicher, sodass ich ihn in Tagträumen herbeizaubern konnte. Halte mich nur nicht für verrückt, vielleicht bin ich gar nicht nur die Maria, die du von Tag zu Tag kennst. Vielleicht ist doch etwas dran an der Erwählung, und das Bild einer Hofdame hat mich eben auch dauernd begleitet. Nur das mit dem Heiland kam mir seltsam vor, und ich versuchte es zu vergessen. Und dass ich nicht oft etwas von deiner sinnlichen Begierde wissen wollte, hast du tapfer ertragen. Manchmal hab` ich gedacht, das Kind wäre gar nicht von dir, obwohl ich dir so treu war wie keine meiner Freundinnen, die ein lockereres Leben führten.

Josef: Maria, für mich warst du immer die Auserwählte, seit ich mich mit dir verloben konnte. Und es blieb immer eine Art von Andacht, aber sicher anders, als die in deinem Traum. Die katholischen Klassenkameraden murmelten von etwas gebenedeiht in ihren Gebeten, keiner konnte mir erklären, was das bedeutet, aber ich dachte, es könnte auserwählt heißen. Damit war ich ja zufrieden.

Maria: Josef, wenn es nun ein entstelltes oder ein außergewöhnliches Kind wäre, würdest du in jedem Fall bei mir bleiben?

Josef: Maria, auch wenn es missgestaltet wäre, würde ich bei dir bleiben und versuchen, ihm ein guter Vater zu sein.

Maria: Es wird nicht missgestaltet sein, dafür ist es zu schwer und hat zu lebhaft gestrampelt. Inzwischen fürchte ich viel mehr mehr, in meinen Träumereien, dass er, ich nenne ihn immer mehr, weil ich zu wissen glaube, dass es ein Sohn wird, dass er nicht meine Dummheit erben wird, sondern meine Träume von etwas Großem, und dass er uns in eine Welt verlassen wird, in der wir nicht zuhause sind, und wo wir ihn nicht mehr schützen können. Bleibst du auch dann bei mir, wenn er uns weit überragt und sich trennen muss von uns.

Josef: Maria, siehst du den Stern dort oben, der sogar durch den Nebel glänzt, der gerade aufziehen will. Der spricht uns doch Mut zu, und noch ist der Bach neben uns nicht gefroren, also wird es nicht zu kalt in der Nacht, auch wenn du in einem Stall gebären musst. Ich bin sicher, man wird nach uns schauen, wenn du in Schmerzen schreist, und wird uns Windeln bringen. Ich weiß nicht viel von Gott, aber ich werde trotzdem für dich und mich und das Kind beten.