Tilmann Moser

Lucas Cranach d.Ä.: Das Paradies

1530, Kunsthistorisches Museum, Wien

Letzte Anweisung für den Paradiesaufenthalt

Es gibt keinerlei biblische Anhaltspunkte, wie das Gespräch verlaufen sein könnte, doch mutmaßlich vollzog es sich so:

Der Alte: Ihr kommt reichlich spät zu letzten Erläuterungen und Anweisungen für das Leben im Paradies.

Eva: Man verläuft sich los leicht in diesem Park, und es gibt dauernd Neues zu sehen. Häschen streicheln kann doch nicht schon wieder verboten sein!

Adam: Ich hab' dir doch gesagt du sollst nicht trödeln. Immer diese Warterei. Es gibt nach der Audienz auch noch Häschen.

Eva, leise: Im übrigen habe ich seine großväterlichen Stänkerein länst satt.

Adam: Halt dein freches Maul und denk daran, aus wessen Rippe du geschaffen bist.

Eva: Ich bin ja schon still.

Gottvater: Meine lieben Gotteskinder, schon wieder habt ihr gestritten und tut jetzt unschuldig. Adam, nimm Evas Hand weg von deinem Gemächt. Das regt dich nur vorzeitig auf.

Eva: Ich wollte ihn nur ein bisschen kitzeln, in aller Unschuld.

Gottvater: In nacktem Zustand gibt es kein harmloses Kitzen, vor allem nicht an der Stelle. Das werdet ihr schon noch verstehen, wenn ich euch das sechste Gebot erkläre. Was versteckst du übrigens hinter deinem Rücken?

Eva: Du siehst aber auch alles. Ein Äpfelchen als Wegzehrung. Der Weg war weit zu dir, und der Rückweg wird es auch ein. Eine Quelle habe wir auch noch nicht entdeckt, obwohl man in der Ferne mal Schwäne sehen konnte.

Gottvater: Evchen, du kommst mir ein wenig vorlaut vor. Und dir, Adam, sage ich, dich habe ich nicht umsonst an die erste Stelle und ihr vor die Nase gesetzt, im Ernstfall darfst du sie sogar züchtigen.

Eva: Der wollte sich auch das Feigenblatt nicht anheften, obwohl du es ja noch nicht befohlen, nur empfohlen hattest. Das wollte ich ihm halt helfen, dein sonderbares Geschenk zu verdecken.

Gottvater: Adam, wenn du nicht bald die Zügel in die Hand nimmst, wird sie später mal die Hose anhaben, Feigenblatt hin oder her.

Gottvater: Spaß beiseite, ihr wisst gar nicht, wie langweilig es sei einigen Millionen Jahren im Himmel war. Ich hatte keine Lust mehr, dauern neue Milchstraßen zu erfinden und auf Erden Hell-Dunkel zu spielen. Die Flora wurde zwar bunt, aber nicht sehr kurzweilig. Die Tiere habe ich deshalb ziemlich zügig erschaffen, manche Arten sogar wieder ausrotten müssen. Die Dinos waren einfach zu übermütig geworden, größenwahnsinnig. Außerdem verstehen Tiere kein Himmlisch, nicht einmal komplizierte Sätze in Zeichensprache und Mimik. Unsere Dialog waren zu merkwürdig. Da dachte ich, wie wär's, wenn ich die Primaten weiterentwickeln würde, die waren noch am interessantesten Der Einfall kam reichlich spät., ich gebe es zu. Ob eure Erschaffung gelungen ist, wird sich zeigen. Es kommt auf euren Unterhaltungswert für mich an, und der hat in geordneten Bahnen.

Eva: Was darf man darunter verstehen?

Gottvater: Das erklär' ich euch gleich. Meine Regel in dem Spiel ist: Ich höre alles, was ihr tut und redet, nichts bleibt mir verborgen.

Eva: Das nennen ich Totalüberwachung. Haben keine Menschenrechte?

Gottvater: Doch. Ihr braucht nicht arbeiten, könnt essen was ihr wollt, ich habe euch einen breiten Gabentisch bereitet. Tausenderlei Früchte von den Bäumen dürft ihr pflückten.

Eva: Wie großzügig. Und wo ist der Pferdefuß?

Gottvater: Adam, merkst du's endlich. Weichheit führt hier zu nichts bei dieser Gespielin, die auch als Geschenk an dich gemeint war. Und als Aufgabe, wohlgemerkt. Eva, das ist kein Pferdefuß, es geht um ein gigantisches Gehorsamsexperimen, das ich euch leider aufnötigen muss, aus Angst vor weiterer endloser Langeweile. Ihr könnt von mir alles haben, aber ich darf euch zuschauen in allem, was ihr denkt und treibt. Doch ich verlange Gehorsam, wie ich meine keinen drückenden.So bin ich nun mal. Von einem einzigen Baum dürft ihr nicht essen, auch wenn ihr grausamen Hunger habt, was aber kaum vorkommen wird, weil ich alles habt, was ihr braucht! Es ist der Baum, der dort drüben steht.

Eva: Und wozu soll das gut sein?

Gottvater: Die Fragen stelle ich hier.

Adam: Eva, das ist genau der, wo du deinen Apfel abgerissen hast. Ich hatte kein gutes Gefühl.

Eva: Konnte ich doch nicht wissen. Mich hat's einfach gejuckt, der schienen mir am reifsten. Soll ich ihn jetzt wegschmeißen, nur weil der das verbietet. Wir essen ihn heimlich.

Adam: Hast du die Schlange im Baum nicht gesehen, die deine Augen dorthin führten?

Eva: Doch, aber ich dachte,die kooperiert mit mir. Außerdem hat er vorgestern gesagt, es gibt keine bösen Tiere hier. Also hab' ich einen Knix gemacht und gesagt, “Danke Schlage!“, und die hat fröhlich gezischt. Jetzt aber zurück zu dir, Gottvater, wo es um Gehorsam geht, geht's auch um Strafe, das gehört doch zusammen.

Gottvater: Ich strafe nicht gern, aber über diese Übertretung wäre ich so böse, dass ich euch rausschmeiße. Strenge muss sein, auch wenn es mich das Experiment kostet.

Adam: Evchen, das schaffen wir. Der Chef ist nicht link, er macht ein Experiment mit uns, lass ihm den Spaß. Solche Spezialäpfel oder Prügungsäpfel lasse ich einfach beiseite.

Gottvater: Nein, so einfach geht das nicht. Dann wäre es kein Charakterexperiment. Die Versuchung muss schon verlockend sein, deshalb habe ich euch die Neugier und die gefähroiche Aufmüpfigkeit mitgegeben, und noch eine kleine Beigabe: das süße Sehnen nach körperlicher Vereinigung. Wenn ihr brav sein, wird die Beigabe gar nicht erst wirksam. Dann bleibt ihr unschuldig wie die Kinder.

Beide Menschenkinder: Wir wollen aber keine Kinder mehr sein!

Gottvater: Ihr werdet schon sehen!

Adam: Eva, hinter dem nächsten Busch essen wir den Apfel gemeinsam auf.

Eva: Nein, du zuerst, ich will sehen was passiert.

Adam: Gut. Der Ältere und der Klügere gibt nach.

Eva: Na also!

(Schnorr von Carolsfeld: Vertreibung, als Beigabe)