Tilmann Moser

Max Beckmann: Ehepaar Carl

1918, Städel, Frankfurt

Der reale Hintergrund: Freunde von Max Beckmann, erste Käufer seiner Bilder

Der Mann hat Sorgen, das sieht man sofort. Wie tief sie sind, darüber kann man nur spekulieren. Wenn man beim Datum des nahenden Kriegsende bleibt, versteht man die Verdüsterung des Blicks eines Mannes, der ein hochspezialisierter Sammler von mittelalterlicher Plastik war, also ein Bürger, dem an politischer und soziale Ruhe gelegen sein musste. Insofern ist das Bild ein ein gemaltes Zeitdokument. Aber ich trenne es ab von dieser Realität und überlasse mich den Geschichten, die mir einfallen zu einem Paar, das sich jederzeit und jedenorts so zusammenfinden könnte, und gebe ihnen die biblischen Namen von Partner, die es offensichtlich schon eine Reihe von Jahren miteinander ausgehalten haben, Adam und Eva. Was sie sich konkret mitteilen, bleibt unbekannt, ich folge ihrem inneren Gespräch:

Eva: Adam, was bedrückt dich,sage es mir. Du schaust schon seit Tage so traurig, düster, grimmig, sorgenvoll, verzweifelt, ich kann es nicht deuten. Und du schaust beharrlich an mir vorbei, obwohl ich dich seit Tagen, ja Wochen ins Gespräch zu ziehen versuche. Ich kann meine Unruhe kaum noch verbergen, und trotzdem zwinge ich mich zu einen zuversichtlichen, zärtlichen Lächeln. Nimmst du das überhaupt noch wahr? Wenn du weiter schweigst, steckst du mich an, ich spüre, wie täglich mehr Angst in mir aufsteigt. Denk an unsere lange Vertrautheit, die durchgestandenen Krisen, die Sorgen um das Geschäft, um das Wohl und Weh der Kinder, um sie brauche wir uns keine Sorgen zumachen, sie haben , trotz der schlechten Zeit, ihren Weg gefunden. Also was plagt dich sonst: der schlimme Lauf der Welt, die Zukunft deiner Sammlung, der drohende Verlust des Vermögens, deine nachlassende Gesundheit; ist es eine deiner tiefen Verstimmungen, die dich an und z heimsuchen;hat dich jemand verletzt; habe ich dir unwissentlich etwas angetan, einen Mangel an Aufmerksamkeit und Fürsorge, dann sag es mir, du wirst mir fremd, wenn du so lange schweigst, es hat sich seit Langem etwas eingeschlichen zwischen uns, ich konnte es nur nicht ansprechen, bis ich mir jetzt den Mut nehme. Es gibt so viel, über das man sich Sorgen machen kann, aber ich kann dir nicht länger Sorglosigkeit vorspiegeln, wenn ich dich an deine unbekannten Sorgen verliere. Du bist kaum noch zärtlich zu mir, von Begehren ist seit langem keine Rede mehr. Du bist mir ein dunkles Rätsel geworden, und wenn ich nicht aufpasse, könnte ich auch vorwurfsvoll oder gar wütend werden. Lass es nicht dazu kommen.

Adam: Ach Eva, wie gerne wäre ich offener, gesprächiger, könnte dich wieder liebkosen und dich sonntags zum Tanzen einlasen, aufs Land fahren, ins Theater gehen, alles tun, was uns zusammen so viel bedeutet hat. Und reden, reden, ich liebte so die Unterhaltungen mit dir, du warst oft so einfallsreich, witzig und einfühlsam, dass mich oft sogar mitten im Gespräch die intimsten Wünschen überkamen, du hast es nicht gemerkt und warst jedes Mal heiter überrascht und hast mich spielerisch gescholten, als hätte ich nicht aufgepasst auf das, was du gerade sagtest. Dein alter Spruch, geerbt von deiner Mutter: „Kind, die Männer wollen immer nur das Gleiche!“, was haben wir oft darüber gelacht, wenn wir das Gleiche wollten, obwohl du doch nach ihrem Wunsch eine keusche Frau werden solltest. Vor dir habe ich mich lange geschämt, wenn mich die Lust auf dich in jüngeren Jahre öfter überkam als dich, und plötzlicher, und du angeblich noch gar nicht in Stimmung warst, entschuldige dass ich angeblich sage, ich verdanke dir ja dein kunstvolles Hinauszögern, durch das es meist nur um so schöner wurde.

Wo sind jetzt meine Sorgen, wo ich über solche Geheimnisse zwischen uns philosophiere?

Aber sie sind da, und seit Monaten schäme ich mich, dass sich die Sorgen häufen und ich es nicht wahrhaben wollte. Ich wollte deine Heiterkeit nicht stören, die so oft meine Rettung war mit meinem so viel dunkleren Charakter.

Eva: Ich nutze jetzt einmal alle meine Möglichkeiten, dich aufzuheitern und gesprächig zu machen, appelliere an dein Vertrauen, verschwöre dich: du musst mich nicht schonen, im Gegenteil, Schonung ist gemein, ja, gemein, du siehst, der Ärger sitzt neben der Liebe schon ganz an der Oberfläche. Lass dich streichen, schau ich an, du warst oft dankbar für meinen leichten oder ernsten Flirt, um dich zu erreichen in deinen Stimmungsverstecken. Aber diesmal scheint es ernster, ich fürchte zudringlich zu werden, weil ich dich erreichen will, es scheint kein Spiel, ich merke es an meiner Unruhe, die sich zunehmend eingeschlichen hat. Warum vertraust du mir nicht mehr, wir haben uns so viel anvertraut im Laufe unseres Leben, gut, ich habe dir das Vertrauen beibringen müssen, aber hinterher, hinter der Wand deines Misstrauens, warst du dankbar und hast meine kleinen Siege gegen deine Zugeknöpftheit mit Blumensträußen und Küssen gefeiert und hattest manchmal Tränen in den Augen, wenn dir wieder ein mühsames Geständnis gelungen war. Ich habe dir auch viel gestanden, Mädchengeheimnisse, bei denen du andächtig zugehört hast, das werde ich dir nie vergessen, du hättest mich so oft beschämen können. Ich brauchte dir nicht mehr viel verheimlichen, das nenne ich sogar einen wichtigen Teil meines Lebensglücks mit dir. Lass es uns das nicht gefährden.

Adam: Hör auf mit deinen stimmungsvollen Reden, sonst bringst du mich schon wieder zum Weinen. Mit wäre jetzt nach einem einsamen Spaziergang.

Eva: Nein, du Künstler des inneren Rückzugs. Ich kenne deine Fluchtversuche, das wird dir heute nicht gelingen. Heute würde ich wirklich böse, wenn du dich entziehst. Raus mir der Sprache, mich schrecken weniger deine Sorgen als dein verbohrtes Schweigen. Du schaust wie damals, als du fürchten musstest, du seist in eine Straftat verwickelt, und du hättest deinen, unseren guten Ruf verloren.

Adam: Du weißt, dass sich die Ängste damals gelichtet haben, aber du hast die Angst tapfer mit mir geteilt. Ich schäme mich über die Häufung der Sorgen. Und die eine sollte ich ausdrücklich vor dir verbergen.

Eva: Dann ist es etwas Beschämendes. Gar etwas Familiäres? Wer verlangt Schweigen von dir? Wer greift ein in unser Zutrauen zueinander?

Adam: Richtig. Aber das Geheimnis geht dich ja unmittelbar genau so an. Also breche ich mein Versprechen, das ich unserem Schwiegersohn gegeben habe. Er ist pleite mit seinem Geschäft, hat Schulden aufgehäuft, er traut sich noch nicht, es seiner Frau zu sagen, geht mich um rasche Hilfe an. Er hat Angst, weiß nicht, ob er das Haus halten kann. Und der Haussegen hängt, er kann die Vorwürfe unserer Tochter nicht mehr aushalten, schäme sich zu Tode. Meine Geschäfte laufen auch nicht famos in diesem Jahr. Aber das ist nicht das Einzige, was mich bedrückt. Meine Mutter, die sich bisher weitgehend selbst versorgt hat, muss in ein Heim, meine Schwester kann die Hilfen nicht mehr leisten. Sie sucht nach einem Platz, die Kosten sind erdrückend. Ich habe mein Mutter zu lange nicht besucht, die Reise mit Vorwänden immer aufgeschoben. Ich fühle mich schuldig und gleichzeitig noch immer wütend. Sie hat zu viel hinein regiert in unsere Familie. Du hast es büßen müssen.

Eva: Das ist von mir aus längst verziehen. Du weißt gar nicht, wie nahe ich mich dir gerade fühle. Ist das denn normal, dass ich es wichtig finde, deine Sorgen zu teilen, wieder solidarische Nähe zu fühlen nach deinem entsetzlichen Verschwinden in das Schweigen? Dass du endlich offen redest, macht mich stark. Ich habe keine Angst.