Gering verändertes Gespräch mit Tilman Moser für das baugerüst, 4-2016
baugerüst: Mit dem Helden ist Heldenverehrung verbunden und da beginnt schon das Dilemma. Wann wird der Held zum Helden?
Moser: Helden kennen wir viele: Kriegshelden, Märtyrer, Helden der Nächstenliebe, in der DDR gab es die Helden der Arbeit. Aber eigentlich beginnt es schon viel früher. Es gibt die kleinen Helden. Wenn der Sprössling zum ersten Mal aufsteht, jubeln die Eltern: „Ach, was bist du für ein kleiner Held!“ So entsteht Selbstbewunderung, aber auch Größenfantasien. Das setzt sich im Kindergarten und in der Schule fort. Es ist eine anthropologische Veranlagung, die den Menschen zum Helden treibt: „Ich bin toll, ich kann etwas, wage etwa, und ich werde gefeiert, habe Gefolgschaft.“
baugerüst: Der Held braucht also ein Gegenüber.
Moser: Zum Helden gehört unabdingbar das Publikum. Ohne Publikum kein Held, (außer den sogenannten stillen, die ungerühmt ihrem Ichideal oder ihrem Gewissen folgen). Das gilt in einem kleinen Verein genauso wie für eine ganze Nation, die dem Helden zu Füßen liegt oder ihn anfeuert, bis hin zur Anbetung und Vergottung. Oder den Helden vielleicht auch verdammt oder ihn in Denkmälern verewigt oder versucht ihn zu vergessen.
baugerüst: Welche Helden erschafft sich die heutige Gesellschaft?
Moser: Stars, Fußballhelden, Königshäuser, Bühnen- und Filmstars. Das Heldenhafte zeigt sich nicht nur durch ihre Berühmtheit oder durch ihr Können, sondern auch durch die gigntische „Heldenhaftigkeit“ ihrer Gehälter.
baugerüst: Ohne Helden geht es wohl nicht? Warum stehen die so hoch im Kurs?
Moser: Helden habe eine Vorbildfunktion, gleich ob in der Schulklasse, in der Clique, im Sportverein oder in der Gesellschaft: Menschen, die sich trauen, etwas Neues, etwas Besonderes auszuprobieren oder zu verwirklichen erhalten eine solche Zuschreibung. Dann werden sie vom Publikum mit Verehrung gefüttert und stürzen ab, wenn ihre Zeit vorbei ist oder sie Unrecht getan haben.
baugerüst: Von Brecht stammt der Satz: "Weh dem Volk, das Helden braucht."
Moser: Ja, Nationen fallen immer wieder darauf rein und ziehen mit leuchtenden Helden in den Krieg. Heldentum bedeutet auch, dass ganze Gruppen oder Völker verführt werden können. Viele Kriege sind Produkte von größenwahnsinnigen Menschen, die sich gerne als Helden darstellen wollen.
baugerüst: Braucht der Mensch dieses Aufschauen zu einem Helden? Warum himmeln Menschen andere Menschen an, unterwerfen sich ihnen?
Moser: Ich glaube, Aufschauen, im Extrem zu Göttern oder Gott, ist eine anthropologische Konstante. Umgekehrt werden wir ja selber auch gerne zum Helden. Ich bin bei Nonnen in den Kindergarten gegangen und wir mussten das Holz zum Heizen in den dritten Stock tragen. Die Nonnen nannten uns dann schmeicheln kleine Helden und wir haben uns immer mehr Holz aufbürden lassen und sind immer schneller diese drei Stockwerke hoch gelaufen, um diese Heldenzuschreibung zu bekommen oder zu bewahren.
baugerüst: Einmal zum Helden aufgestiegen, kann sich der Held alles erlauben?
Moser: Nein, aber sehr vieles. Ja, dieser kann motivieren und unterdrücken, wenn er über Gewalt, Macht oder Terror verfügt. Leider gibt es beides und auch zusammen in einer Person, z.B. bei Stalin und Hitler. Beide wurden verehrt in fast gläubiger oder inbrünstiger Weise, und mit der Zeit wurde vielen deutlich: Der Held führt uns ins Verderben, als Verbrecher. Selbst ein positiver Held, der wie ein Idol verehrt wird, kann durch Größenwahn andere ins Verderben führen.
baugerüst: Hitler wurde anfänglich von vielen Menschen, auch Jugendlichen angehimmelt und verehrt.
Moser: Heute können wir kaum noch verstehen, warum Hitler eine solche Anziehungskraft auf die Menschen ausgeübt hat. Aber die Armut, die Sorge um die Arbeit, auch der verlorene Erste Weltkrieg, extreme Propaganda und Terror, das war der Nährboden, auf dem plötzlich falsche Helden wachsen konnten, die vorgaben, die Nation oder ein Volk aus der Not herausführen zu können.
baugerüst: Warum aber diese bedingungslose Verehrung?
Moser: Hitlers Schreien, sein Gebrüll, signalisierte: Ich weiß, dass ich ein Sieger bin oder sein werde, und ich werde euch führen. Diese Ausstrahlung, die Helden in verschiedener Form produzieren, ist das Verführerische und steckt andere an. Der Nationalsozialismus war eine Krankheit der Ansteckung. Man sah, dass Millionen die Arme hoben, wenn er kam, da konnten sich dann immer weniger dieser Verehrung, diesem Rausch entziehen. Heldentum als kollektive Sehnsucht, persönliche, stammes-, nationen-, religionen-, oder Menschheitssehnsucht, aufrichtige oder kriminelle. Auch Verbrecherclans brauchen und erzeugen ihre Helden. Und die großen Helden wissen, dass und wie sie die Massen süchtig machen müssen. Da ist das ambivalente Verhältnis von Held und Publikum.
baugerüst: Der Held muss also von sich überzeugt sein, darf keinen Zweifel haben.
Moser: Der gefährliche Held, aber auch der wohltätigemuss einen Allmachtwahn haben, wenn er die Massen beherrschen will. Daneben gibt es aber auch die Alltagshelden, die nur durch eine mutige Tat zumVorbild werden, die stillen Helden, die Helden der Nächstenliebe oder auch Helden der Warnung vor Unheil und Gefahr.
baugerüst: Ist Snowden ein Held?
Moser: Ja, natürlich, er gehört zu den Widerstandshelden. Helden des Widerstands sind Menschen, denen klar wird, dass Unrecht geschieht, die sich gegen den Strom wenden, deshalbmanchmal auch Verrat begehen. Graf Stauffenberg aus der Gruppe um den 20. Juli war so ein Mensch, damals Verräter, der hingerichtet wurde, wird er heute als menschlicher und politischer Held gefeiert.
baugerüst: Um ein positiver Helden zu werden, müssen Grenzen oder Verbote überschritten werden.
Moser: Bei Snowden war das so. Die Administration der USA verurteilt ihn als Verräter und weltweit wird er gefeiert als jemand, der unglaublich viel Positives für die Aufklärung im Umgang mit Daten und finsteren Plänen getan hat.
baugerüst: Es gibt also nicht nur die Helden, die mit der Aura des Allmachtwahns umgeben sind, sondern auch diejenigen, die sich aus der eigenen Gesinnung heraus für etwas einsetzen, auch mit ihrem Leben. Sind die Propheten der Bibel Helden?
Moser: Ja natürlich, das sind Helden der Mahnung, auch gegen die allgemeine Stimmung.
baugerüst: In Ihren bisherigen Antworten kommen Helden eigentlich ganz gut weg. Viele betrachten aber Helden sehr skeptisch, geben ihnen eher eine negative Zuschreibung.
Moser: Da ist sicher die Frage wichtig, welcher Generation man angehört. Ich bin als Protestant in der Diaspora aufgewachsen. Für uns war Luther ein Held, der vor Kaiser und Papst keine Angst hatte und seine theologische Linie durchgehalten hat, trotz Todesgefahr. Je nach Alter, politischer und sozialer Situation sympathisieren Menschen mit aggressiven auch bössen Helden oder Helden des Widerstands.
baugerüst: Gibt es einen Grundkonsens in der Gesellschaft, wer als Held anzuerkennen ist? Wir haben Heldendenkmäler für Gefallene des Ersten und Zweiten Weltkriegs, würden aber nie auf die Idee kommen Snowden ein Denkmal zu setzen.
Moser: Das könnte aber noch kommen. Ich hoffe es und glaube, der steht sogar für viele längst vor Verehrung, gar Verklärung.
baugerüst: Was zeichnet Helden aus?
Moser: Pflichtbewusstsein gehört sicher zu den unabdingbaren Eigenschaften eines Helden. Wenn z.B. Soldaten auf einem verlorenen Posten ausharren, dann werden sie aus Pflichtbewusstsein heraus für ihr heldenhaftes Tun ausgezeichnet, da sie bereit waren, für ihr Kameraden wie den jeweioigen Feldherrn oder Herrscher in den Tod zu gehen.
baugerüst: Sind Helden männlich, stark und einsam?
Moser: Nicht unbedingt. Es gibt auch Gruppenhelden. Die Griechen z.B., die die Perser abgehalten haben unter Preisgabe des eigenen Lebens. Auch die Fußballnationalmannschaft besteht aus Gruppenhelden. Die Polen bezeichnen sich selber als Heldennation, weil sie die Nazis überstanden und sich wieder aufgerichtet haben. Oder die Bürger von Calais, die sich für ihre Stadt geopfert haben. Also Helden sind nicht immer nur Einzelpersonen. Und es gibt sehr viele Frauen als Heldinnen, entgegen dem allgemejnen Mämmlichkeitsbild.
baugerüst: Scheinbar gehören Heldentum und Opferbereitschaft zusammen. Andererseits verlangen die Helden aber auch oft Opfer von den anderen.
Moser: Wenn die Helden genug von sich überzeugt sind, können sie von den fanatisierten Gruppen oder Massen alles verlangen, bis hin zum Opfer des eigenen Lebens oder gar zum kollektiven Untergang. Sie fühlen sich in ihrer Größe berechtigt, dass Letzte zu fordern. Über Hitler sprachen wir schon, er war so einer, wenn er sagte: Ich fordere von euch allen das Letzte, um das Vaterland wieder groß zu machen.
baugerüst: Was ist der Einzelne, was sind die Massen bereit zu geben?
Moser: Manche wollen etwas oder viel opfern, umsich als Helden groß zu machen. Da werden gigantische Treuegelöbnisse inszeniert. Bei der SS war das so: "Unsere Ehre heißt Treue". Man opferte dem Führer die Verfügung über sich selbst.
baugerüst: Muss der Held selber auch Opferbereitschaft zeigen?
Moser: Helden sind fast immer Personen, die durch Prüfungen gegangen sind. Hitler sah ja die Attentate auf ihn als eine Prüfung und meinte, als er überlebte, das Schicksal habe gesprochen.
baugerüst: Menschen, die Helden verehren, die unterstellen sich bedingungslos einer Autorität?.
Moser: Es gibt im Menschen Eigenschaften, die neigen zur Verehrung, zur Überschätzung, zur Anbetung und zur Unterwerfung bis in den Tod. Sicher auch aus Schwäche ihres eigenen lebendigen Selbst greifen sie zu irrsinnigen Idealen. Man könnte auch von Feiglingen sprechen, weil mit ihrem realen Selbstwertgefühl etwas nicht stimmt.
baugerüst: Darüber könnte man verächtlich sprechen.
Moser: Wenn die Menschen bei Gehorsam und Unterwerfung verharren, dann wird es zur Schwäche. Aber Idole in einer bestimmten Zeit zu haben, diese zu überwinden, Verehrung zu überwinden bis man reif genug ist, keine Idole mehr zu brauchen, das gehört zur Entwicklung einer Persönlichkeit. Ich darf sie also haben, aber ich muss sie auch wieder aufgeben, überwinden können. In bestimmten Lebensphasen sind Helden zur Ausbildung der eigenen Identität wichtig. Für viele Kinder ist Papaoft lange der Held. Junge Mädchen himmeln Stars an und wundern sich dann Jahre später, warum sie das so berauscht getan haben. Es ist aber eine Suche nach Orientierung, die all dem zugrunde liegt.
baugerüst: Sind in bestimmten Lebensphasen von Kindern oder Jugendlichen Helden notwendig?
Moser: In bestimmten Lebensphasen dienen Helden, vor allem moralische Helden der Orientierung und der Reifung, um Klippen der persönlichen Entwicklung überwinden zu können.
baugerüst: Was heißt das heute mit Harry Potter und Star Wars?
Moser: Star Wars lebt von dem Bedürfnis nach übergroßen, ja außerirdischen Helden. Dort leben die Bösen, die weniger Bösen und die Guten und es gibt den Zusammenhang von Heldentum, Größe, Verrat und Destruktion. Diese Filme sind sehr erfolgreich, weil sie einen Nerv in der menschlich-seelischen Konstitution treffen.
baugerüst: „Möge die Macht mit euch sein“, heißt es bei Star Wars. Was ist daran so faszinierend?
Moser: Macht ist ein ganz zentrales Wort bei Helden. Macht über sich selber, auch zur inneren Selbstüberwindung und Macht über die anderen, auch um Rivalen aus dem Weg zu räumen. Viele dieser Helden sind erbarmungslos.
baugerüst: Sind weibliche Helden anders?
Moser: Das hängt von den Werten ab, die eine Gesellschaft für wichtig hält, oder welche Tugenden den Frauen gepredigt werden. Weibliche Helden habe eine andere seelische Prägung als Männer. Diese haben das aggressiv Kämpferische viel mehr schon in den Genen. Aber es bit auch weltberühmte Heldinnen
baugerüst: Also mehr Jeanne d’Arc als Mutter Theresa?
Moser: Beide Pole sind wichtig. Aber Jeanne d’Arc ist verbrannt worden, weil die Menschen es nicht ertragen konnten, von einem weiblichen Helden gerettet werden zu müssen. Mutter Theresa ist inzwischen heilig gesprochen.
baugerüst: Wie haben Menschen Anteil an ihrem Helden? Manchen ist die Unterschrift von dem verehrten Star wichtig oder ein Haar von meinem Idol. Bin ich so meinem Helden näher?
Moser: Diese magischen und auch religiösen Momente spielen oft eine Rolle. Wenn ich etwas von diesem Helden besitze, glaube ich an dessen Kräften teilhaben zu können. Zwischen der magischen Verehrung eines Fußballhelden oder eines Kriegshelden oder eines religiösen Führers bestehen gleitende Übergänge.
baugerüst: Menschen, die etwashivil Außergewöhnliches leisten, werden zu Helden des Alltags: Der Feuerwehrmann, die Krankenschwester oder eben auch der schon erwähnte Snowden, der sich traute, über Gesetze hinweg zu gehen. Werden hier Handlungen bewundert, die ich selber vielleicht nicht vollbringen würde oder mich nicht traue?
Moser: Diese moralischen Helden sind wichtig, viel wichtiger als diese vermeintlich starken,gramdiosn. Es wird Zeit, dass wir die Helden nicht mehr auf Kriegerdenkmälern betrachten. Das sind veraltete Kraftbilder mit einer fragwürdigen Pflichterfüllung.
baugerüst: Der Heldenbegriff müsste positiv konnotiert werden.
Moser: Nicht generell, immer in Abgrenzung zum Bösen, zum Suchtartigen, zur Macht- und Gewaltausübung.
baugerüst: Ein Lied im Evangelischen Gesangbuch beginnt mit: "Mir nach, spricht Christus unser Held". In Bildern wird Christus als der Leidende, der Gekreuzigte dargestellt, aber auch als Sieger, als Held.
Moser: Es gibt Menschen, die möchten, dass ihre Religion durch einen Helden wie durch einen Märtürer begründet wird. Dazu gehören dann auch Gehorsam und Bereitschaft, Schmerzen, Spott und Verleumdung, ja Schmähung zu erleiden. Diese Gläubigen meinen, leiden und sterben zu können, wäre wichtig, um Gottgefälligkeit oder gar Heiligkeitzu erwerben.
baugerüst: Erlösung durch Leiden?
Moser: Ja, diese Bereitschaft zum Leiden, ja sogar Erhöhung des Leidens für sich selber bis hin zu einer Leidenssucht gibt es in fast allen Religion.
baugerüst: Aber Menschen verehren doch den Jesus, der konsequent für Gott und seine Idee eingestanden ist und den Tod auf sich genommen hat, ohne sich zu verraten.
Moser: Das ist richtig, aber für mich war immer die christliche Verherrlichung des Gehorsams anstößig, angefangen von Isaak und Abraham bis hin zu der Bitte im Garten Gethsemane: „Vater, lass diesen Kelch an mir vorübergehen“, aber dein Wille geschehe. Ich schreibe gerade an einem Buch („Das Messiaskomplott“, in dem Jesus im Himmel einen Streit mit dem Vater anzettelt und Gott fragt: War es denn wirklich nötig, dass ich in den Tod gehen musste?. Was ist das für eine Religion, die diese Forderung nach der Kreuzigung zum Inbegriff von anbetungswürdigem Gehorsam wählt.
baugerüst: Die Verherrlichung des Gehorsams wird zum zentralen Begriff.
Moser: Blindes Vertrauen, die heldenhafte Verehrung eines Führers, die Forderung der Unterordnung, das alles gehört dazu. Dazu gehört auch die absolute Gehorsamspflicht gegenüber den Eltern, die im Christentum verherrlicht, später aber als schwarze Pädagogik entlarvt wurde. Das Christentum ist eben auch eine Religion des Gehorsams gewesen. Armut, Keuschheit, Gehorsam hieß es bei den Mönchen, Nonnen und Priestern.
baugerüst: Die Geschichten über Jesus im Neuen Testament sind ja eigentlich keine Geschichten der Heldenverehrung und es ist auch ganz wenig von Macht und Gewalt die Rede. Wie kann auf der Basis dieser Texte dann doch etwas anderes in den Vordergrund rücken?
Moser: Das hat mit dem Erfolg des Christentums zu tun. Die weltweite Ausbreitung ließ Autoritäten, Hierarchien, Gehorsamspflicht entstehen. Wenn, wie im Katholizismus einer dogmatisch sagen kann sagen kann, was die einzige Wahrheit ist, kommt es eben zu solchen Strukturen. Aber es ist nicht nur die Kirche. Die Macht- und Racheandrohung sind im Neuen Testament selbst auch vorhanden. Dort ist die Rede von Jesus dem Weltenrichter, es gibt Verdammung, Heulen und Zähneklappern, und wer nicht glaubt, ist sowieso verloren.
baugerüst: Es gibt ja die Geschichte, als Jesus in die Wüste geht und ihm vom Teufel mehrfach alle Macht angeboten wird, er diese aber ablehnt. In der Kirchengeschichte hingegen konnten fast alle mit dieser Haltung Jesu nicht umgehen.
Moser: Die Verführung durch Macht und Reichtum ist eben doch sehr groß.
baugerüst: Gestorben für Volk und Vaterland ist auf Denkmälern zu lesen. Heute können das viele nicht mehr nachvollziehen. Oder steckt diese Einstellung doch noch ganz tief in uns drin?
Moser: Durch Propaganda können Menschen dazu gebracht werden, den Heldentod als etwas Positives zu sehen. Im Zweiten Weltkrieg durften die Mütter ihre gefallenen Söhnen nicht betrauern, sie sollten voll stolzer Trauer bei diesem Heldentod im Feld sein. „Süß ist es, für das Vaterland zu sterben“ heißt es bei Hölderlin. Das ist uns heute vielleicht alles etwas fremd, aber wenn der Nationalismus ins Heilige gesteigert wird, ist die Bereitschaft zum Selbstopfer nicht mehr weit.
baugerüst: In fast jedem Dorf ist heute ein Kriegerdenkmal mit einem solchen Spruch zu finden. Kränze werden niedergelegt und die örtliche Feuerwehr oder der Chor treten zu bestimmten Tagen an zum zum trauernden oder verehrenden Gedenken.
Moser: Das ist die politische Lüge, um die Familien zu versöhnen. Wir haben nicht aus verbrecherischen Gründen unsere Söhne verloren, sondern aufgrund von zu hohen Idealen.
baugerüst: Wenn aber heute in diesem Dorf eine Gruppen von Engagierten, der Bürgermeister oder der Pfarrer einen anderen Umgang mit diesen Denkmälern fordern, dann erhebt sich in einem Dorf nicht selten Protest aus der Bevölkerung.
Moser: Die Bevölkerung akzeptiert scheinbar, dass man Kriegerdenkmälerbruacht, um sich mit der schrecklichen Geschichte versöhnen zu können. Dann sind die Gefallenen nicht einfach Opfer von verbrecherischen Angriffskriegen, sondern sie sind für Vaterland, Gott und alles möglicheHehre gestorben.
baugerüst: Heldenbilder wandeln sich?
Moser: Unsre Gesellschaft war früher viel stärker militarisiert, das war im Kaiserreich so, Kriegsheld doch sehr desillusioniert.
baugerüst: Zum Schluss: Ist Pippi Langstrumpf eine Heldin? Obwohl viele Eltern ihre Kinder eher wie Thomas und Annika erziehen, sympathisieren Sie mit diesem rebellischen Mädchen.
Moser: Vielleicht hat die Autorin Astrid Lindgren innerlich auch gegen den durchschnittlichen Gehorsamsbegriff gekämpft und eine Gegenheldin geschaffen. Pippi Langstrumpf taugt aber nicht als durchgängiges Gesellschaftsideal. Sie ist eine inspirierende kleine aufmüpfige Heldin, vor der man aber wieder genesen muss. Dann wird ihre Haltung der eigenen Entwicklung und Reife dienen.