Christophe Dejours (Hrsg.): Psychopathologien der Arbeit.
Klinische Fallstudien.
von Tilmann Moser
Ausgangspunkt für die in diesem Band enthaltenen Aufsätze von Christophe Dejours und Mitarbeitern war die kontinuierliche Erfahrung an ihrem Institut zu Erforschung mit aus der Arbeitswelt stammenden psychischen Beschädigungen. Ihr Fazit: "Dass die Experten für psychopathologische Erkrankungen der Zentralität der Arbeit so wenig Interesse entgegenbringen, hat natürlich ... Ursachen, die sich längst vor Beginn der Massenarbeitslosigkeit bemerkbar machten. ... Wäre ihre Analyse unter Psychiatern bekannt, würden sie vielleicht mehr Neugier für die Psychopathologie und Psychodynamik der Arbeit aufbringen, was ihre berufliche Tätigkeit stark beeinflussen könnte." Psychiater und Psychotherapeuten sind kaum ausgebildet, um subtile oder grobe Schädigungen durch bedrückende Arbeitsverhältnisse wahrzunehmen. Die Versuchung ist noch immer groß, seelische Erkrankungen der individuellen Vorschädigung zuzuschreiben.
An subtilen Fallbeispielen demonstrieren die Autoren das oft schwer erkennbare Ineinandergreifen von individueller Disposition und soziologisch relevanter Schädigung durch Betriebsklima, Stress und Intensivierung der Anforderungen. Sie unterscheiden zwischen einer Arbeits- und einer privaten Identität, die in einen unauflösbaren Widerspruch geraten können, an dem spätere Patienten zerbrechen können. Sie sprechen fast bitter von der "strategischen Geselligkeit", mit dem das Management versucht, das Betriebsklima oberflächlich durch Feste und Reisen zu retten.
Als in einigen französischen Konzernen die Zahl der Selbstmorde im Zusammenhang mit Arbeitskonflikte zunahm, geriet das Thema sowohl in der Öffentlichkeit wie in der Forschung und Gesetzgebung erst an den verdienten Platz. Mobbing wird von den Autoren nicht nur horizontal (durch Arbeitskollegen), sondern aus vertikal und gezielt eingesetzt vom Management verstanden. "Der Eindruck drängt sich auf, dass Manipulation durch Drohung und Erpressung ebenso wie Mobbing zu Management erhoben worden sind, die entweder gezielt zu Fehlern führen und eine Kündigung wegen Fehlverhalte ermöglichen oder aber Beschäftigte destabilisieren und zur Kündigung drängen sollen."
Der Band sollte Pflichtlektüre werden in vielen psychotherapeutischen Ausbildungsgängen, weil es dem Management immer besser gelingt, die "Radikalisierung der Herrschaftsmethoden" voranzutreiben, was dazu führt, dass auch die Abwehrmethoden der Beschäftigten subtiler und schwerer erkennbar werden, bis sie zum burnout führen.
Christophe Dejours (Hrsg.): Psychopathologien der Arbeit. Klinische Fallstudien. Brandes und Apsel, Frankfurt am Main 2012, Ärzteblatt PP