Hans-Gerd Metzger (Hrsg.): Psychoanalyse des Vaters
Klinische Erfahrungen mit realen, symbolischen und phantasierten Vätern
von Tilmann Moser
Wahrscheinlich wird die Rolle des Vaters noch häufiger neu entdeckt und umgeschrieben, und ist bereits mehrfach umgeschrieben worden, seit Mitscherlichs Buch von der "Vaterlosen Gesellschaft", der auf die sozialpsychologischen und soziologischen Veränderungen der Familien den sechziger und siebziger Jahre deutend reagierte.
In dem Band "Psychoanalyse des Vaters" geht es um die tiefenhermeneutischen Klärungen von Väterrollen, untersucht mit dem tiefenpsychologischen Präzisionsinstrument der Psychoanalyse in elf Falldarstellungen, meist aus langfristigen Psychoanalysen. Man staunt, hinter wie vielen Formen und Masken sich gelingende oder misslingende Väterlichkeit verbergen kann. Da geht es um real fehlende Väter, und solche, die anwesend, aber innerlich abwesend oder kaltgestellt waren. Es geht um Väter, die ihre Frau oder Partnerin in der Mutterrolle nicht annehmen und halten konnten; die mit ihrer Männlichkeit nicht im Reinen waren; die ihre Kinder mit ängstigenden, entwertenden oder idealisierenden Projektionen verzerrt wahrnahmen. Und die Mütter hatten natürlich die entsprechenden Störungen, sodass sich die Eltern in ihren Fähigkeiten , ihr Kind aufwachsen und gedeihen zu lassen, gegenseitig schwächten und störten. Sehr oft scheint es so, dass bei in ihrer elterlichen Fähigkeit belasteten Familien ein Kind, vor allem wenn es zu früh kommt, die Liebes- und Paarbeziehung stört oder zerstört, und die Eltern sich verzweifelt ohnmächtig fühlen und das Kind als massive Bedrohung erleben. Allen Beispielen gemeinsam war, dass Schwangerschaft, Geburt und Wachstum des Kindes in ihnen die oft unbewältigten Beziehungen zu ihren eigenen Eltern aktivierten, mit der Folge, dass die Kinder in der dritten Generation mit den Traumen ihrer Eltern und Großeltern überschwemmt wurden. Was zunächst dem gesunden Menschenverstand als unwahrscheinlich erscheint: die Drei-Generationen-Abfolge von Verletzungen wird hier plausibel und in langwieriger Arbeit vorgeführt.
Zentraler Begriff ist die "Triangulierung", als die Fähigkeit der Eltern, aus Besitz ergreifender Dyade aufzutauchen und den jeweils anderen Partner mental gelten zu lassen in seiner wertvollen Andersartigkeit. Dies erlaubt auch dem Kind, aus der Symbiose herauszutreten und eigenen Denk- und Wahrnehmungsraum zu entwickeln, eine Identität, die Verschmelzung und Distanzierung und Differenzierung gleichermaßen erlaubt. "Die lange vorherrschende und auch heute noch vertretene Überzeugung, belastende Erfahrungen mit dem Vater hätten geringere pathologische Auswirkungen, ist nicht zu halten."
Sein Fehlen in den frühen Phasen von Kindergarten und Grundschule in der Form von männlichen Erziehern und Lehrern führt zu folgender Feststellung: "Die zunehmende Störungshäufigkeit von Jungen kann sozialpsychologisch auch verstanden werden als selbstschädigender Widerstand gegen die erst neuerdings sich verbreitende Tendenz von Pädagoginnen, alle Kinder nach weiblichen bzw. feministischen Idealvorstellungen erziehen zu wollen." (Frank Damasch) Mit der Folge des erhöhten Ritalin-Verbrauchs.
Die Beiträge des Bandes sind alle von gleich hoher wissenschaftlicher Qualität. Da sie hier nicht einzeln gewürdigt werden können, seien wenigstens die Autoren anerkennend genannt: Marita Barthel-Rösing, Heriber Blaß, Frank Damasch, Bettina Daser, Britta Heberle, Angela Köhler-Weisker, Friedrich Markert, Hans-Geerd Metzger, Tomas Plänkers, Jörg M. Scharff, Martin Teising, Cornelia Wegeler-Schardt. Es sind meist Psychoanalytiker der Frankfurter Schule, die sich mit dem Band ein faszinierendes Zeugnis forschender Kooperation geschaffen haben, das sich durch die Eindringlichkeit der Falldarstellungen wie der theoretischen Reflexionen auszeichnet, auch wenn sie in verschiedenen tiefenpsychologischen Theoriesprachen wahrnehmen und denken.
Hans-Gerd Metzger (Hrsg.): Psychoanalyse des Vaters. Klinische Erfahrungen mit realen, symbolischen und phantasierten Vätern. Brandes und Apsel, Frankfurt 2008, 280 S., Hardcover, 29 Euro. Ärzteblatt PP ohne Datum