Tilmann Moser

Ralf Zwiebel: Was macht einen guten Psychoanalytiker aus?

Grundelemente professioneller Psychotherapie

Von Tilmann Moser

Die Psychoanalytiker haben zu allen Zeiten nachgedacht über das "Wesen" und den wissenschaftlichen Status ihrer Disziplin. Es scheint aber, dass eine Phase vertiefter Selbstreflexion begonnen hat, die gleichzeitig eine Phase tiefen Zweifels sein könnte. Exemplarisch der Titel eines gerade erschienenen Buches: "Psychoanalytische Skepsis -Skeptische Psychoanalyse" (Hrsg. Von Helmwart Hierdeis, Göttingen 2013), oder die Diskussion in der "Psyche" über ihren "Wissenschaftsstatus". Es überwiegt die Grübelei, bei gleichzeitiger Unlebendigkeit der Berichte über das reale Handwerk. Symptomatisch einer der Anfangssätze des herausragenden Buches von Ralf Zwiebel: "Im Grunde geht es um die Frage, wie man als Analytiker... ein professionelles Selbst entwickeln kann, das die Gefahren eines falschen Analytiker- oder Therapeuten-Selbst durch das Hervortreten eines wahren Analytiker ...Selbst verringern hilft - Letzteres verstanden als eine von Authentizität durchdrungene ... Position, Haltung und Arbeitsweise." Für Zwiebel lauern überall die Gefahren des Scheiterns, und er baut mit großer Gründlichkeit ein überhöhtes Ideal auf, vor dem sich Gelingen und Versagen ständig die Waage halten. Nach meinem Erleben ist es sogar ein bedrückendes Ideal, dass nicht nur den Anfänger auf Jahre einschüchtern kann. Die Gefährdungen lauert nach Zwiebel an jeder Ecke, und deshalb müssen alle Begriffe und Shiboleths noch einmal neu definiert werden, mit dem Ergebnis: Alle "diese Fragen scheinen gegenwärtig kaum gelöst zu sein." Nicht umsonst hat Ferenczi schon früh vor der "Hypokrisie" einer allzu strengen und undurchschaubaren Haltung der Analytiker gewarnt.

Zwiebel preist mit Recht den "Geist des Zweifels" wie die berühmte "forschende Haltung", die den Analytiker leiten soll, aber das innere Gleichgewicht scheint permanent gefährdet, weshalb angesichts so widersprüchlicher "Arbeitsmodelle", für die es kaum noch einen gemeinsamen Nenner gibt, der permanente "Anfängergeist" gefordert wird, um nicht in die Falle eines falsche Vorauswissens über die Störungen der Patienten zu geraten.

Wie schwer Zwiebel selbst an seinem oft schwer erfüllbaren Ideal festgehalten hat, zeigt sein später Appell an die "Patienten der letzten 35 Jahre, die ich auf diesem Weg um Verzeihung bitte: wegen meiner Abwesenheiten und der Zeit, in denen es mir nicht möglich war, ein genügend guter Analytiker zu werden und zu bleiben."

Mit Zwiebels Buch ist ein Gipfelpunkt extrem belesener, aber überaus besorgter Selbstreflexion erreicht, und man meint im Text eine Trauer zu spüren über so viel Gefährdungen einer "lebendigen Anwesenheit", die er doch fordert. Es gehe überall um die "normativen Einstellungen", genauso wie in dem unlängst erschienenen Buch der freudianischen Lehranalytikerin Diana Pflichthofer: "Spielregeln der Psychoanalyse", ein atemberaubender Überblick über das aus 284 unterscheidbaren Verhaltensnormen bestehende gigantische Regelwerk. Die Selbstreflexion und zugleich andauernde Selbstgewissheit der klassischen Psychoanalyse ohne bereichernde Öffnung zu anderen durchaus integrierbaren Therapieformen ist imponierend, aber auch einschüchternd, vor allem wenn man sich gleichzeitig vor Augen hält, dass alle Schulen inzwischen überzeugt sind, dass die warmherzige Zuwendung einer integeren und gut ausgebildeten Therapeutenpersönlichkeit der Hauptfaktor für eine mögliche Besserung oder gar Genesung ist.

Außerdem gebe ich zu, dass meine Rezension, die auch ein schmerzender und schmerzlicher Verriss des Textes eines Freundes ist, eine Botschaft an die klassische Analyse enthält: Warum so viel Abschottung gegen wichtige therapeutische Neuerungen in anderen Disziplinen? Die Diagnose "Epoche des Grübelns" über die Identität der Psychoanalyse scheint sich gerade zu bestätigen durch das Erscheinen von vier neuen wichtiger Büchern: Diana Pflichthofer, "Spielregeln der Psychoanalyse", psychosozial-verlag, 2013; Benjamin Bardé/Eduard Bold (Hrsg.), "Wagnis Psychoanalyse", Brandes und Apsel, Frankfurt 2012; der Protokollband zur Herbsttagung der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung 2012 unter dem Titel "Die Psychoanalytische Haltung - ihre Bedeutung im Spannungsfeld innerer und äußerer Angriffe", Congress-Organisation Geber + Reusch, Frankfurt 2013, ohne jeden Hinweis auf neue therapeutische Entwicklungen; und Jürgen Hardt, "Methoden und Techniken der Psychoanalyse", psychosozial-verlag, Gießen 2013.

Ralf Zwiebel: Was macht einen guten Psychoanalytiker aus? Grundelemente professioneller Psychotherapie. Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2013, 292 S., Ärzteblatt PP 6/2013