Tilmann Moser

Thomas Auchter: Brennende Zeiten.

Zur Psychoanalyse sozialer und politischer Konflikte.

von Tilmann Moser

Der Aachener Psychoanalytiker ist seit über 25 Jahren ein überaus wacher Beobachter der Zeitläufte aus psychoanalytischer Perspektive. Das zeigt der vieldimensionale und voluminöse Band "BrennendeZeiten", der Arbeiten mit Themen aus seiner ganzen Lebensspanne zusammenfasst.

Um nur einige zu nennen: Interessant die Würdigung von Freud und Winnicott als "politische Autoren"; die Dehumanisierungstendenzen in der modernen Gesellschaft auf vielen Feldern, auch in Pädagogik und Psychotherapie; die Entstehung und Bedeutung von Gewalt, im Individuum wie in Völkern; Terrorismus und Selbstmordattentäter; unsere geschichtlichen Erinnerungsstörungen; Detailarbeit auch über die Struktur totalitärer Organisationen wie der K-Gruppen nach 1968; die frühen und aktuellen Forschungen über Kriegstraumatisierungen; eine Psychoanalyse von George W. Bush; Wahnsystem in Einzelnen wie in großen Kollektiven Wahn; und nicht zuletzt, die Zerfallserscheinungen und deren Folgen von Religion.

Dieses Buch, das vielleicht einmal "der Auchter" genannt werden wird, ist nicht nur bedeutsam für alle historisch und tiefenpsychologisch Interessierten, sondern es gehört wie ein kostbares Handbuch auf die Schreibtische von allen Journalisten, die je in die Verlegenheit kommen, sich Rat zu holen bei einem ausgewiesenen Theoretiker zu Fragen der Psychoanalyse zu gesellschaftlichen Konflikten. Es handelt sich um einen kommentierenden Überblick über den Stand der modernen Psychoanalyse auf den meisten vorstellbaren Kompetenzebenen, eine Art Lebenswerk des fast Sechzigjährigen.

Störend höchstens die unendlich vielen Verweisungen auf sorgfältigst belegte Zitate, die manchmal den Lesefluss unterbrechen. Er belegt sein fast schicksalshaft zu nennendes eigenes Engagement für die Psychoanalyse mit biographischer Offenheit, er teilt es mit seinem Vater, einem früheren prominenten Funktionäre der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung. Kriegs- und Gewalt spielten eine Rolle in der Familie, und das vertiefte Auchters intensive Anteilnahme an allen politischen Bewegungen der letzten Jahrzehnte, die er vortragend und analysierend durchlebt hat. Nicht sämtliche "Jugendarbeiten" hätten aufgenommen werden müssen, sie illustrieren aber die Kontinuität in Auchters Denken, und die ist wahrhaftig eindrucksvoll.

Thomas Auchter: Brennende Zeiten. Zur Psychoanalyse sozialer und politischer Konflikte. Psychosozial-Verlag, Gießen 2012, 525 S., kart., 39.50 Euro