Therapieren und Beten
Michael Utsch/Raphael M. Bonelli/Samuel Pfeifer: Psychotherapie und Spiritualität
Von Tilmann Moser
Ein reichhaltiges Buch, geeignet für alle möglichen einschlägige Berufe, Gläubige und Ungläubige, Spirituelle und Atheisten: ein ungeheures Spektrum der oft sich wiederholender Information, vor allem aus der amerikanischen Szenen und der dortigen Forschungsliteratur, mit einer riesigen Zahl kleiner Fallvignetten, denen aber meist ein psychodynamischer Hintergrund fehlt. Die Autoren sind hoch kompetente Forscher, denen aber eine gründliche psychoanalytische Schulung zu fehlen scheint.
Die Beiträger betonen mit Recht, dass das Thema zumindest in der deutschen oder europäischen Psychotherapie bis heute weitgehend ausgeblendet wurde, und dass die es kaum eine tiefenpsychologische Ausbildung im Umgang mit religiösen Störungen gibt. Die ungeheure Verbreitung auch fundamentalistischer Frömmigkeit in den USA hat aber zu einem breiten Schrifttum geführt zu Forschung und unzähligen Ratschlagbüchern über den Umgang mit verstörten oder leidenden Menschen, die mit ihrem Glauben nur schwer zurechtkommen, wobei es aber unzählige Mischformen zwischen religiösem und psychologischem Leiden kommt, die den Seelsorger und Psychotherapeuten vor schwierige Probleme stellt. Sollte der Psychotherapeut seinen eigenen theologischen Standpunkt mitteilen, gar mit dem Klienten beten, im bei der Sinnsuche helfen, oder ihn hauptsächlich von schweren Sünden- und Verfolgungsphantasien befreiten?
Alle drei erklären, wie wichtig und gesundheitsfördernde Religion ist, und sie sind sich darin mit vielen Ärzten, Therapeuten und Religionssoziologen einig. Alle drei scheinen gläubige Christen, die sich ebenso einig sind in der Freud-Bekämpfung mit seiner These, dass Religion eine massenhafte Zwangsneurose sein. Fast denunziatorisch heißt es: „Wichtig ist hier von Anfang an klarzustellen, dass natürlich nicht jede Religionskritik psychopathologisch auffällig ist.“ (Bonelli) „Freud hatte in der Tat ein persönliches Probleme mit der Religion.“, da er „religiös Andersdenkende als unwissenschaftliche Ewiggestrige abwertet.“ Deswegen gibt es heute wohl so viele „religiophobe Therapeuten“ als verheerende Folge von Freud grundlegendem Irrtum. Es fehlt ein tieferes Verständnis für Freuds Diagnose der christlichen Sünden-, Angst- und Bestrafungstheologie, die zu so viel Infantilisierung und neurotischem Elend geführt hat.
Das Werk ist überreich an Information über Störungsformen und den Stand der riesigen amerikanischen Forschung und beraterischer Praxis Was aber fehlt sind die in tiefenpsychologischen Therapien grundlegenden Überlegungen zu Übertragung und Gegenübertragung. Es ist mehr von religiösem Mitfühlen und heilsamer Sinnstiftung die Rede als von den analytischen Problemen im Umgang mit Störungen zwischen Religion und Psychopathologie und von behandlungstechnischen Schwierigkeiten. Es bringt ungeheuer viel historisches und definitorisches Material, aber wenig für die dringend notwendig Weiterbildung von tiefenpsychologischen Therapeuten, die weiterhin in Gefahr sind, zum Schaden der Patienten das Thema zu vermeiden.
Michael Utsch/Raphael M. Bonelli/Samuel Pfeifer: Psychotherapie und Spiritualität. Mit existenziellen Konflikten und Transzendenzfragen professionell umgehen. Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg 2014, 220 S., Hartbroschur, 34,99 Euro