Tilmann Moser

Edgar Degas: An der Börse

um 1878/7, Louvre

Kaufen, Verkaufen, Halten?

Dazu: Ein Börsengeheimnis, 192023 Jahre, Keramik, Jüdisches Museum Wien

Der linke Herr: Henry, ein Glück, dass ich dich noch treffe, ich dachte schon, ich komme zu spät. Nun höre ich, die Schalter sind noch offen, ist das noch wegen der Silberbergwerksaktion, ich hörte, sie sind sehr gefragt, aber ein riskantes Spekulationspapier. Oder warum bist du heute hier. Es ist eigentlich gar nicht dein Tag. Du bist keiner von den Hektischen, die jeden Tag anstehen. Also, gibt es etwas Besonderes heute? Dreh dich doch wenigstens um nach mir, oder bin ich dir lästig? Du kannst doch einem unerfahrenen Freund keinen Rat abschlagen. Ich habe geschäftliche Verlust erlitten,gut, das kann passieren.Für den Rest meines Geld brauche ich ein paar sichere Tipps. Ich weiß, du bist bestens informiert. Ich bin auch bereit, einen Kredit aufzunehmen, wenn du meinst, es ist im Augenblick was zu holen in französischen Papieren. Wir könnten auch gemeinsam investieren, und halb halb machen, wenn du etwas raus holst für mich.

Der Mann rechts: Im Augenblick ist gar nichts sicher, die Börse taumelt, und du kannst entweder mehr Glück haben als Verstand. Es wäre Leichtsinn von mir, dir tippst zu geben. Am Ende machst du mich noch für Verluste verantwortlich. Du musst die richtigen Blätter lesen, Tag für Tag, ohne deinen Wunderglauben, du kämst plötzlich als reicher Mann nachhause. Ein paar sensationelle Gewinne haben dir den Kopf verdreht. Aber fass´ mich vor allem nicht an. Man muss streuen, aber hast du überhaupt noch was übrig zum Streuen, und Geduld? Du und Geduld! Und auf Kredit! Ich glaube du bist verrückt geworden. Steht dir das Wasser am Hals? Zahl deinen Arbeitern gute Löhne, dann laufen sie dir nicht weg und beklauen dich. Lieber Qualitätsarbeit, dann bleiben auch die Aufträge nicht aus. Hier laufen genug Bankrotteure herum, die meinten sie könnten´s erzwingen mit ein paar guten Tipps. Schau dir das Paar dort an, die an uns vorbei wollen, der würdige Mann reicht seiner heulenden Frau ein Taschentuch für die Tränen. In diesem Bau werden viele Tränen geweint, und es fließt genau so viel Champagner in den Bars um die Ecke. Und Geheimtipps genug werden feilgeboten, todsichere, und die Anfänger, wie du einer bist, fallen darauf rein. Dreh´ dich um und schau dir das Paar da hinten links an, wie aufgeregt die tuscheln. Aufgeregt-Sein ist sowieso verkehrt. Kühles Blut, keine Hektik, Ausgeschlafen-Sein, die alle sind wichtig. Und so wie du riechst, bist du weder nüchtern noch ausgeschlafen. Lass die Finger von der Börse. Ich mache keine gemeinsamen Geschäft mir dir.

Links: Welche Gazetten soll ich lesen? Siehst du die, die dem Mann neben uns aus der Tasche herausschauen? Soll ich sie unbemerkt herausziehen? Vielleicht hat er die wichtigsten Zahlen angestrichen. Mir bricht er Schweiß aus. Ich muss endlich einsteigen, bevor die neuen Dampfzüge an mir vorbei fahren. Soll ich einfach auf Eisenbahnpapiere setzen? Auf Import-Export-Unternehmen? Lass mich jetzt bloß nicht allein.

Rechts: Lass dir das sagen: Die Börse ist kein Spielcasino, wo der Zufall dich reich oder arm macht. Manchen wie dich hat plötzlich das Fieber gepackt, die reine Gier schaut euch aus den Augen, von Wirtschaft keine Ahnung, aber schnell noch aufspringen auf den Zug. Lass mich in Ruhe.

Links: Ich lass dich ja schon, du dreckiger Geldjude. Dir sieht man´s wenigstens an, den flaschen Glauben, die falsche Rasse. Ihr kungelt ja doch nur untereinander. Wundert euch nicht, wenn da sich nicht mal was Unangenehmes für euren feinen Klüngeln zusammen braut. Ich wünsch´ dir einen Bankrott an den Hals. Das wäre gut für euren Hochmut. Pfui!