Tilmann Moser

Ernst Jünger: „In Stahlgewittern“

Eine Deutung

Von Tilmann Moser

Einleitung

Gibt sich der Autor eines Romans selbst als die Hauptperson zu erkennen, ja ist der Roman eine Verarbeitung umfangreicher, von Tag zu Tag niedergeschriebener Aufzeichnungen, ist also am autobiographischen Charakter des Testes kein Zweifel möglich, so darf man unter den vielen tiefenpychologischen Möglichkeiten, den Text zu interpretieren, beruhigt die wählen, bei denen der Autor als sich offenbarende Person im Zentrum steht, ohne die höchst umstrittene Unterscheidung zwischen Autor und in der Ichform dargestellten autobiographischen Heldenzu vertiefen. Und man ist als Psychoanalytiker befugt, ihn wie einen möglichen Patienten zu deuten, der sich von Seite zu Seite freizügig, ja stolz und ungebremst zu erkennen gibt. Es ist ja sein offen ausgesprochener Wunsch, als Kriegsheld gesehen, angehört, verstanden und beurteilt zu werden. Da es sich um einen stolzen, sich enthüllenden, sich entblößenden wie sich feiernden, ja exhibitionistischen Text handelt, wird man auch, nach strenger psychoanalytischer Methode, seine eigenen Reaktionen, also sowohl Übertragung wie Gegenübertragung sowie die eigene Einfühlung, das „Mitschwingen“ nutzen, um zu plausiblen Deutungen zu kommen. Dies gilt auch dann, wenn der Autor uns nicht als ratsuchende Person gegenüber tritt, sondern in einem 300 Seiten langen Bekenntnis zu dem, was er für seinen Charakter, seine Eigenheiten, seine Konflikte wie seine eigene Selbsterforschung hält. 

Da Jüngers seelische Introspektion enge Grenzen aufweist, er also kaum nac innen schauende biographische Vorarbeit leistet, werden Tatberichte, mitgeteilte Stimmungen, Aufrufe, optische und akustische Wahrnehmungen wie körperliche Sensationen, Niedergeschlagenheit wie wiederkehrende Hochgefühle, Angstattacken wie euphorische Selbstüberschätzung und omnipotente Phantasien das zu sichtende, oft kunterbunt durchmischte Material, mit dem es der Leser zu tun hat. Eine Charakterdiagnose nach einem literarischen Dokument enthält immer ein Risiko, sie kann extrem subjektiv geraten, eingetrübt durch eigene Konflikte wie Vorurteile. Deshalb muss sie so objektiv wie möglich dargestellt werden, und die Quellen der eigenen möglichen Verzerrungen der Wahrnehmung sollten so aufrichtig wie möglich mitgeteilt werden, bis hin zur emotionalen Vorgeschichte des Deutungsversuchs.

Als Student der Germanistik und der Soziologie, späterer Literaturwissenschaftler, Soziologe und Psychoanalytiker hätte ich Grund genug gehabt, schon aus Bildungsinteresse mich dem Roman zuzuwenden, von dem in Gruppen immer wieder die Rede war. Aber mich hielt eine unreflektierte Aversion davon ab, auch nur einen Text des Autors zu lesen, eine Eigenheit, die auf Nachfrage viele Literaturliebhaber bekunden. So stieß ich also ganz unvorbereitet und nur aus Anlass einer Vortragsreihe der Uni Freiburg über Kunst und Literatur während und nach dem 1. Weltkrieg auf „In Stahlgewittern“, hatte nur gehört, dass es sich um eine verherrlichende Darstellung des Kriegserlebens des Kadetten und späteren Leutnants Ernst Jünger handele, und dass derselbe kurz vor Kriegsende den höchsten preußische Verdienstorden erhielt, den „Pour le mérite“ erhielt.

Eine psychoanalytische Interpretation

Meine psychoanalytische Diagnose für den Helden des Romans und seinen damit fast deckungsgleichen Autor lautet: Eine pathologischer Narzissmus mit abnormen Größen- und Unverletzlichkeitsphantasien, mythologischem Denken übersich selbst, unkontrollierbarer Ruhmsucht und Dominanzstreben, rauschhaften Erlebenszuständen und vorübergehendem Realitätsverlust mit halluzinatorischen Einsprengseln und unbezähmbarer Kampfbegeisterung mit latent suizidalen Neigungen. Zur Begründung:

Der knapp 18-jährige Kriegsfreiwillige schreibt bei der Ankunft des Soldatenzugs in der Nähe der Front Herbst1914: „Mit ungläubiger Ehrfurcht lauschten wir den langsamen Takten des Walzwerks der Front, einer Melodie, die uns in langen Jahren Gewohnheit werden sollte. … Ahnten wir, daß fast alle von uns verschlungen werden sollten … - der eine früher, der andere später? … Da hatte der Krieg uns gepackt wie ein Rausch. … Der Krieg musste es uns ja bringen, das Große, Starke, Feierliche.“ Eine erste Ernüchterung bringt der „Marsch durch den schweren Lehmbogen der Champagne“, durch scheue und zerlumpte Zivilisten,: „überall Soldaten in abgetragenen, zerschlissenen Röcken … Der Eindruck wurde durch den beginnenden Verfall des Dorfes noch vertieft.“ Aber der Kampfesrausch wird für Jünger fast vier Jahre erhalten bleiben, trotz der verstümmelt oder zerfetzt zu Tausenden immer wieder mit kaltem Blick beschriebenen Verwundeten und Toten. „Der Krieg hatte seine Krallen gezeigt und die gemütliche Maske abgeworfen. Das war so rätselhaft, so unpersönlich.“ Der kommende Held wünschte es von Anfang an persönlicher, als Nahkampf, rauschhafter und todesmutiger, als extrem männliche Bewährung. „Obwohl die Beschießung sich in jedem Augenblick wiederholen konnte, zog mich das Gefühl einer zwingenden Neugier an den Unglücksort.“ Diese Neugier wird nicht versiegen bis zur letzten Apotheose des blutigen Kampfes kurz vor dem bedauerten Ende im Herbst 1918. Aber erst einmal:

„Laden und Sichern! Mit geheimer Wollust einen Rahmen scharfer Munition ins Magazin.“ Dann, nach dem Exerzieren und erholsamen Ruhetagen: „Statt der erhofften Gefahren hatten wir Schmutz, Arbeit und schlaflose Nächte vorgefunden … Es gibt noch Lichtblicke mit Fressen und Saufen und neuen Freunden, die alle fielen oder in Schlamm und Bombentrichtern verfaulen.“, außer ihm, der in seine Phantasien der Unverwundbarkeit fiel in den unzähligen Stoßtruppunternehmungen, in denen er als Kommandeur Hunderte von „Kameraden“ in seinem Ehrgeiz, sich als Held auszuzeichnen, mit in den Tod riss. Er fühlt sich als mythischer Ritter vor dem Einsatz: „Am Abend saß ich noch lange in jener ahnungsvollen Stimmung, von der die Krieger aller Zeiten zu erzählen wissen“… „Endlich kam der ersehnte Befehl. … Dann glitt der Mahnruf des Todes durch die Reihen: 'Sanitäter nach vorn!'. Bald kamen wir an der Stelle vorbei, wo es eingeschlagen hatte. Die Getroffenen waren schon fortgeschafft. Blutige Zeug- und Fleischfetzen hingen rings um den Einschlag (der Granate, tm) an den Gebüschen - ein sonderbarer, beklemmender Anblick, der mich an den rotrückigen Würger denken ließ, der seine Beute auf Dornensträucher spießt.“, ein Beispiel von Jüngers kalter Beobachtungssprache inmitten des Gemetzels. Ein erster Einfall zum „Aufspießen“ geht zu den tausenden der vom halbprofessionellen Entomologen in späteren Jahrzehnten unter Schaugläsern auf gespießten Käfern.

Sein bereits zusammengeschmolzener Trupp stürmt aber mit ihm voran: „Zwischen den großen und blutigen Bildern herrschte eine wilde, ungeahnte Heiterkeit.“ Er findet bald weitere verstreute Leichenhaufen. In einer Pause plündert er einen gefallenen Feind: „Ein schönes gestreiftes Hemd, das neben dem auseinandergerissenen Offiziersgepäck lag, verführte mich dazu, mir rasch die Uniform vom Leib zu streifen und mich von Kopf bis Fuß mit neuer Wäsche zu versehen. Ich freute mich über das angenehme Kitzeln des frischen Leinens auf der Haut.“ Unter neuem Granathagel: „Dabei hatte ich eigentlich keine Angst; im Gefühl, nicht gesehen zu werden, konnte ich auch nicht glauben, … daß ich getroffen werden könnte.“ Als ihm ein „Dabeigewesener“ bei einer anderen „wirklichen“ Schlacht bestätigt, dass es nun auch bei ihm bald so weit sei mit einer ersten Schlacht, meint Jünger: „Diese Antwort erfüllte mich mit einer närrischen Freude, bestätigte sie mir doch mein erstes wirkliches Gefecht.“ Dann sein rauschhaft stilisiertes Schlachtgemälde in den täglichen Tagebuchaufzeichnungen: „Schuß folgte auf Schuß. Stickige Gase schwammen im Unterholz, Qualm verhüllte die Wipfel, Bäume und Zweige stürzten rauschend zu Boden, Schreie wurden laut. Wir sprangen hoch und rannten blindlings, von Blitzen und betäubendem Luftdruck gehetzt, von Baum zu Baum, Deckung suchend und wie gejagtes Wild riesige Stämme umkreisend.“ Rasend geht es weiter: „Meine Besinnung ließ mich völlig im Stich. Rücksichtslos rannte ich alles über den Haufen … bis ich in einem Waldstück zusammenbrach. … Zwei Krankenträger „luden mich auf eine Bahre …“ Danach: Leicht verwundet im Lazarettzug nach Heidelberg: „Erst viel später erlebte ich den Zusammenprall, den Gipfelpunkt des Kampfes im Erscheinen der Sturmwellen auf freiem Felde, das für entscheidende Augenblicke die chaotische Leere des Schlachtfeldes unterbricht.“

Bald wird jünger nach einer Ausbildung Fähnrich und kehrt im September 1915 an die Front zurück. Es geht unter seinem Kommando immer gewaltsamer in die vordersten Linien, aus zerstörten Dorfquartieren, in denen Scharen von Ratten an den Resten der früheren Bewohner nagen. „Traurige Gedanken beschleichen den Krieger an solcher Stätte, wenn er derer gedenkt, die noch vor kurzem hier friedlich gehaust haben.“, schreibt nicht der kampfeswütige Soldat, sondern eben „der Krieger“, der sich nach würdigen Gegnern sehnt, vor allem im unendlichen Netzwerk der „Laufgräben“, die tollkühne Spähtrupps immer neu erkunden oder freikämpfen oder Drahtverhaue neu legen müssen, eine Tätigkeit, bei der reihenweise „Kopfschüsse“ empfangen oder ausgeteilt werden. … „auch ich bange nach Wärme, nach irgendetwas Menschlichem in dieser unheimlichen Einsamkeit.“ Der schlimmste Feind des Kriegers ist für ihn lähmende Langeweile, aus der jeder Aufruf zu einem neuen Stoßtrupp wie eine Erlösung wirkt. Die dröhnend explodierenden Minen werden zu animistisch beseelten Gestalten, „viel aufregender als die Granaten. Sie haben überhaupt etwas Reißendes, Hinterlistiges, etwas von persönlicher Gehässigkeit. Es sind heimtückische Wesen“, die wiederum den rasch abrufbaren Rachezorn schüren. Spott gilt den „Anfängern“ in den Gräben, die bleich noch Spuren von Angst zeigen. Von den länger Eingeweihten heißt es: „Ihnen macht der Krieg eben Spaß.“ Im Stellungskrieg bleibt man oft Wochen oder Monate am gleichen verwüsteten Ort, wir waren „fest mit ihm verwachsen.“ „Um uns ruhten in aufgetürmten Lehmwällen die Leichen gefallener Kameraden, auf jeder Fußbreite Boden hatte sich ein Drama abgespielt.“ Es sind immer wieder die, die der Kommandeur zu seinen tollkühnen Stoßtrupps zusammengerufen oder -kommandiert hatte.

Manche Landstriche sind nach Monaten erneut umkämpft: „Die herabstürzenden Grabenwände legten eine Reihe von Leichen aus den Kämpfen des vorigen Herbstes bloß.“ Aber nachgedacht werden darf nicht in dem nicht endenden Gemetzel. Das Bild des ritterlichen Helden wird immer strahlender: „Ich war im Kriege immer bestrebt, den Gegner ohne Haß zu betrachten und ihn als Mann seinem Mute entsprechend zu schätzen. Ich bemühe mich, ihn im Kampf aufzusuchen, um ihn zu töten, … niemals habe ich niedrig von ihm gedacht.“ Dann das immer wieder gesuchte Gefühl: „Mit kleinem metallischem Knacks springt die Sicherung der Pistole zurück; ein Ton, der wie ein Messer durch die Nerven geht. ... Man zittert zwischen zwei gewaltigen Gefühlen: der gesteigerten Aufregung des Jägers und der Angst des Wildes. Man ist eine Welt für sich, vollgesogen von der dunklen, entsetzlichen Stimmung, die über dem wüsten Gelände lastet.“ Ein zentrales Wort ist immer wieder die Suche nach dem „gesteigerten“ Lebensgefühl.

Ein neuer Anlauf zum Sturm, taghell ist die Nacht durch Blendgranaten erleuchtet: „Ein Feuerwerk von Leuchtkugeln strahle Mittagshelle auf das mit dichten Rauchschwaden behängte Vorgelände. Diese Augenblicke, in denen die volle Besatzung in höchster Spannung hinter der Brüstung stand, hatten etwas Zauberhaftes; sie erinnerten an jene atemlose Sekunde vor einer entscheidenden Vorführung, während deren die Musik abbricht und die große Beleuchtung eingeschaltet wird.“ So geht es begeistert Seite um Seite weiter, wie in einem jugendlichem Indianerspiel, in immer gleichen, nur leicht veränderten Varianten, als extrem turbulenter Stillstand, in den Jünger um jeden Preis kämpferische Bewegung bringen will. Glücklicherweise berichtet „ein englischer Überläufer“, „dass um fünf Uhr ein Angriff erfolgen soll, bei dem er zahlreiche Tote vor unserem Draht liegen ließ. Unsere Verluste waren allerdings auch beträchtlich … an diesem Vormittag über vierzig Tote, darunter drei Offiziere, und viele Verwundete. … Noch am selben Abend feierten wir den glücklichen Verlauf der Aktion durch einige wohlverdiente Flaschen.“ Dabei kann es gut sein, dass die 40 Soldaten Opfer seines tollkühnen Stürmens waren. Aber: „die Stellung begann allmählich wieder langweilig zu werden. … Nachdem ich mir einige trockene Handgranaten ausgesucht hatte, kletterte ich in bester Laune über den Draht ….“ Und immer die begehrt gesuchte Mutprobe von Mann zu Mann: „Ich hielt meine Pistole mitten in ein Gesicht, das mir wie eine blasse Maske … entgegen leuchtete. Ein Schatten schlug mit quäkendem Aufschrei rücklings in den Drahtverhau.“ Irgendwann muss sich die todbringende Verwegenheit doch lohnen. Und in der Tat, die eisernen Kreuz steigern sich in ihrer Bedeutung. Und bald darf der Kommandeur selbst Eiserne Kreuz verteilen.

Zurück im Unterstand: „ein Gefühl des höchsten und angespanntesten Wachseins, als ob irgendwo im Körper ununterbrochen eine kleine elektrische Klingel läutete.“ Die Droge hat wieder einmal gewirkt und verlangt nach neuem Nachschub: „Diese kurzen Streifzüge … waren ein gutes Mittel, den Mut zu stählen und die Eintönigkeit des Grabendaseins zu unterbrechen. Der Soldat darf sich vor allem nicht langweilen.“ Durch Kommando oder freiwillige Meldung standen ihm immer genug ebenfalls ordenssüchtige Begleiter zu Verfügung, von denen in der Summe die wenigstens zurückkehrten. „Wir waren dabei in der besten, heitersten Laune, und Worte wie ´Ausweichen´ waren uns unbekannt.“ „So spürte ich in diesen Augenblicken keine Furcht, sondern eine hohe und fast dämonische Leichtigkeit; auch überraschende Anwandlungen eines Gelächters, das nicht leicht zu bezähmen war.“ Als bei einem großen Sturm die Kampfmoral angesichts der Leichenberge nachzulassen drohte, heißt es: „Ich musste meine volle Befehlsgewalt aufbieten, um sie wieder an ihre Plätze zu bringen. Allerdings befand ich mich am gefährlichsten Ort, und dort genießt man die höchste Autorität.“ Siegeswillen und Untergangsbereitschaft halten sich die Waage: „Ab und zu, beim Schein einer Leuchtkugel, sah ich Stahlhelm an Stahlhelm, Klinge und Klinge blinken und wurde von einem Gefühl der Unverletzbarkeit erfüllt. Wir konnten zermalmt, aber nicht besiegt werden.“ Und wiederum die Mythisierung des Kampfes: „sodass wie in der homerischen Schlacht der Götter und Menschen der ‚Aufruhr der Erde mit dem des Himmels wetteiferte.“, …. „ denn es verschwand die Mannschaft spurlos in den Labyrinthen der Schlacht.“ Jünger fühlt sich zwischen Göttern und Menschen angesiedelt als Halbgott der Stoßtrupps.

Als der Held wieder einmal eine leichte Verwundung bekommen hatte, vernimmt er: „Die Kirche von Fins war mit Hunderten von Verwundeten belegt, die an diesem Ort verpflegt und verbunden worden seien. Vor solchen Zahlen kam ich mir mit meinem armseligen Beinschuß recht unbedeutend vor.“ In einer Kampfpause, ausgerechnet in einem Pfarrhaus, mit dem Divisionskommandeur Rittmeister von Böckelmann, beendete dieser die Unterhaltung über das deutsche Friedensangebot mit dem Satz, „daß es jedem Soldaten während eines Krieges verboten sein müsse, das Wort Frieden überhaupt nur auszusprechen.“ Kurz danach wieder eine wundersame Rettung. „Durch ein Zufallstreffen von der Explosionsstelle abgelenkt, krepierte eine Granate, der ich ohne diese Begegnung wahrscheinlich zum Opfer gefallen wäre. Derartiges sieht man nicht als Zufall an.“ Der Leser hat zu ergänzen: sondern„als Vorsehung.“ Doch die nächste Granate schlägt im Pfarrhaus selbst ein, Jünger wird leicht verletzt und kommt ins örtliche Kriegslazarett mit „über vierhundert Schwerverwundeten.“ Danach stößt er wieder zu seinem Regiment und übernahm „die Führung der zweiten Kompanie.“,vom früheren Weihnachtsfest der gleichen Kompanie waren „gerade noch fünf Mann“ vorhanden, aber Bier und Grog flossen „in Strömen“. Nun wird es allerdings höchste Zeit für einen hohen Orden. „General Sonntag erscheint zur Besichtigung, bei der das reduzierte „Regiment für seine Leistungen … gerühmt und mit zahlreichen Auszeichnung bedacht wurde.“ Jünger glaubt „zu bemerken, dass Oberst von Oppen dem General über mich berichtete. Einige Stunden später wurde ich in das Stabsquartier befohlen, wo mir der General das Eiserne Kreuz Erster Klasse überreichte. Der hatte breitere Kunde über den Helden. ‚Sie pflegen öfters verwundet zu werden´, begrüßte mich jedoch der General, ´ich habe daher an ein Pflaster für Sie gedacht.´“ Es folgt die Ehrung eines vierwöchigen „Kompanieführererkurses“. Danach lockt eine neuer Einsatzort: „Hier hielten wir eines Abends, der auf fünfundzwanzig scharfen Handgranaten hockend, eine gemütliche Plauderstunde ab.“ Nach einer Artilleriekanonade war die Stimmung seiner Leute „der Manneszucht abträglich“, aber für Jünger kein Problem. „Am ersten Ruheabend nach dem offensichtlich erfolgreichen Einsatz lud ich meine Freunde zu einem mit sämtlichen vom Hausbesitzer hinterlassenen Gewürzen gefeuerten Glühwein ein, denn unsere Patrouille hatte uns neben anderen Anerkennungen einen vierzehntägigen Urlaub eingebracht.“ Es dürften wiederum viele „Freunde“ gefallen sein. Es erscheint bald danach in der Luft ein Kriegsheld ähnlichen Kalibers während erbitterte Luftkämpfe, die fast immer mit der Niederlage der Engländer endeten: Richthofen mit seiner Kampfstaffel, dem Hermann Göring in der Führung nachfolgt. Da stürzen „brennend abgeschossen“, englische Maschinen nacheinander zu Boden.

Malerisch und lautmalerisch schildert Jünger für die Nachwelt eine verdienstvolle Tat seines Stoßtrupps: „Wir packten die aus den Trümmern ragenden Gliedmaßen und zogen die Leichen heraus. Dem einen war der Kopf abgeschlagen, und der Hals saß auf dem Rumpf wie ein großer blutiger Schwamm. Aus dem Armstumpf des zweiten ragte der zersplitterte Knochen, und die Wunde war vom Blut einer großen Brustwunde durchtränkt. Dem dritten quollen die Eingeweide aus dem aufgerissenen Leib. Als wir ihn herauszogen, stemmte sich ein zersplittertes Brett mit häßlichem Geräusch in die schauerliche Wunde ein.“ Das Tagebuch sollte schon am Ort hohe Literatur werden, aber jünger hat aus dessen Texten noch Jahre nach dem Krieg neue kriegsverherrlichende Bücher geschrieben.

„Obwohl ich (zum nächsten Angriff, tm) an Befehlen und Drohungen nicht sparte, zögerten die wenig kriegserfahrenen Leute der Fernsprechkompanie lange, … bis auch dieser Eingang (zur Rettung der Gruppe!,tm) zusammenbrach.“ Nach erneutem Einsatz: „dieses Trankopfer nach glücklich bestandener Schlacht zählt zu den schönsten Erinnerungen alter Krieger. Und wenn zehn vom Dutzend gefallen waren,, die letzten zwei trafen sich mit Sicherheit am ersten Ruheabend beim Becher, …“ … „In diesen Männern war ein Element lebendig, das die Wüstheit des Kriegs unterstrich und doch vergeistigte … Im Lauf von vier Jahren schmolz das Feuer ein immer reineres, ein immer kühneres Kriegertum heraus.“ Wenig später heißt es: „Unser kleines Gefecht wurde im Divisionsbefehl erwähnt. … Doch allzu begierig hatte ich während der Langeweile auf eine solche Gelegenheit gehofft.“ Als er bei einem französischen Juwelierpaar einquartiert ist, kommt es zu einer gepflegten Plauderei, mit einem für den Leser überraschenden Thema: „besonders oft wurde natürlich die schwer zu beantwortende Frage erörtert, warum die Menschen Krieg führen.“ Nachwirkungen hatte die Frage beim Helden nicht.

Denn Jünger hatte noch viele „Kameraden“ zum opfern: „Ich befahl also, mir zu folgen, und sprang mitten ins Feuer hinein.“ … „Nachdem ich mich aus dem Schlimmsten herausgearbeitet hatte, sah ich mich um. Das Gelände war menschenleer.“ Nicht ganz selten gibt auch seine Abteilung im Getümmel „friendly fire“, mit beträchtlichen Verlusten. „Derartige Irrtümer kamen in diesen Tagen häufig vor, ohne dass man lange darüber grübelte.“ Immer wieder ist von seiner „zusammengeschmolzenen Kompanie“ die Rede, aber da Gehorsam und Manneszucht bei ihm erhalten blieben, kommt es nie zu ernsthaftem Widerstand oder zu Nachdenken über Befehle auf seiner Seite. Er strebt noch höheren Ehren entgegen. Auch in aussichtslosen Situationen macht er seinen Leuten klar, „daß an Rückzug nicht zu denken sei.“ „Zum Erstaunen der Mannschaft raffte ich mich unverletzt wieder auf.“ Trotzdem geraten manche in eine der seinen vergleichbare Raserei: Einmal denkt selbst er an Rückzug: „Die Lage war aussichtslos, es hatte keinen Sinn, die Mannschaft hinzuopfern, Ich gab Befehl zum Rückzuge. Nun war es schwierig, die in den Feuerkampf verbissenen Leute hochzubekommen.“ Er ist der überragende Kriegsheld, weit über seine begrenzte Situation hinaus, und er gibt der späteren Dolchstoßlegende schon hier Nahrung: „Wie gewaltig auch die Menschen- und Materialmengen waren, so wurde die Arbeit an den entscheidenden Punkten doch nur von wenigen Kämpfern vollbracht.“ Man hätte ihn, statt der beschämenden Waffenstillstandsverhandlungen, nur mit wenigen Getreuen weiter kämpfen lassen sollen. Denn er war fast unsterblich: Er wurde wieder einmal leicht verwundet umgeworfen: „Ich wurde auf eine Zeltbahn gelegt, durch deren Schnüre man einen jungen Baum steckte, und vom Schlachtfelde getragen.“ Im Feldlazarett „folgte mein ‚Bataillonskommandeur, und da er, ein strenge Mann, mir sanft auf die Schulter klopfte, mußte ich lächeln, denn es kam mir der Gedanke, daß nun gleich der Kaiser selbst eintreten und sich nach mir erkundigen werde.“

Jünger war längst eine Supermann der Division. Statt einen beantragten Urlaub zu bekommen, sagt der Oberst, ‚das Regiment muss jedoch eine gewaltsame Aufklärung unternehmen, deren Durchführung ich Ihnen anvertrauen will. Suchen Sie sich die geeigneten Leute aus … „Als ich Freiwillige aufrief, traten zu meiner Überraschung – es war immerhin bereits Ende 1917 – aus allen Kompanien fast drei Viertel der Mannschaft vor. … Einige Überzählige weinten fast, als sie zurückgewiesen wurden. … Die tollsten Draufgänger des zweiten Bataillons hatten sich zusammengefunden.“ „Zunächst schickte ich die Pioniere vor, um aufzuräumen; da mir das Tempo nicht genügte, nahm ich selbst die Spitze. Mit Feuerwerkerei konnten wir uns nicht aufhalten.“ Es ist immer wieder der gleiche Rausch durch die vier Jahre, der ihn voran reißt und viele seiner Soldaten in den Tod: „Von den vierzehn Mann, die mit mir ausgezogen waren, kamen nur vier zurück,“, aber einer sagt: „Von Leutnant Jünger habe ich jetzt aber Respekt; Junge, Junge, der flitzt man so über die Barrikaden!“ Der Divisionskommandeur kommt zu Besuch, ich saß neben ihm „und bemühte mich ohne falsche Bescheidenheit unsere Taten vom Morgen in das rechte Licht zu rücken, was mir auch gelang.“ Es regnet wieder Eiserne Kreuze und es gibt 14 Tage Urlaub. Und dann geht es immer immer weiter: „Für die bevorstehenden Kämpfe war ich zum Spähoffizier bestimmt und dem Regimentsstab zugeteilt.“, mit einer bedauerlichen Folge: „Im Gefecht steht man unter sachlichem Zwang. Dagegen äußert sich auf dem Marsch inmitten der aus der Materialschlacht rückenden Kolonnen das Abbröckeln der Kriegszucht am unverhohlendsten.“

Wieder einmal auf Genesungsurlaub, diesmal in Berlin, blättert er in englischen und französischen Zeitungen, und da dämmert ihm wohl zum ersten Mal, dass der geliebte Krieg zu Ende gehen könnte. „Die Große Schlacht bedeutete eine Wendemarke auch in meinem Inneren, und nicht nur deshalb, weil ich von nun an den Verlust des Krieges für möglich hielt.“ Das geht nicht ohne ein erneute Mythisierung des Geschehens ab: „Die ungeheure Ballung der Kräfte in der Schicksalsstunde, in der um eine ferne Zukunft gerungen wurde, und die Entfesselung, die ihr so überraschend, so bestürzend folgte, hatten mich zum ersten Male in die Tiefe überpersönlicher Bereiche geführt.. Das unterschied sich von allem bisher Erlebten; es war eine Einweihung, die nicht nur die glühenden Kammern des Schreckens öffnete, sondern auch durch sie hindurchführte.“ Das klingt dunkel, aber es scheint, dass er zum ersten Mal begreift, dass sich nicht alles nur um ihn dreht.

„Eine tiefe Umschichtung, die der ungeahnten Dauer des gesteigerten Lebens am Abgrund folgte, kündigte sich an. … Auch spürte man, daß der Sinn, mit dem man ausgezogen war, sich verzehrt hatte und nicht mehr zureichte. Der Krieg warf seine tieferen Rätsel auf. Es war eine seltsame Zeit.“ Er allerdings nähert sich seiner Freikorpszeit und in der Folge seinem publizistischen Vernichtungskrieg gegen die Weimarer Republik. Zuvor hatte er allerdings noch feststellen müssen, „dass die Maschine immer mächtiger auf dem Kampfplatz erschien.“ Bald schwang er sich aber zum Lehrer einer neuen Taktik auf: „Auch versammelte ich meine Kompanie, zum Unterricht über die Abwehr, die Taktik und die verwundbaren Stellen dieser immer häufiger auftretenden Kriegselefanten der technischen Schlacht.“ Er wirft sich kämpfend wieder einmal bei einem Stoßtruppsturm zu Boden, „während die Erregung sich steigert – ein Bild, das den Geist fesselt wie ein furchtbares schweigendes Zeremoniell, durch welches das Blutopfer sich ankündigt.“ Wenig später, „mein letzter Sturm“: „Jeder wusste, dass wir nicht mehr siegen konnten. Aber wir würden standhalten. … Wieder winkt ein blutiges Fest.“ …

Als Überlebender schreibt er: „Scherzhaft war mir freilich nicht zumute. Denn ich hatte die klare Erkenntnis, verloren zu sein.“ Im Verbandsunterstand bekommt er eine Morphiumspritze, dann geht es ab ins Kriegslazarett . Dort hat er Muße: „Während der Langeweile des Liebens sucht man sich mannigfaltig zu zerstreuen; so vertrieb ich mir einmal die Zeit, indem ich meine Verwundungen zusammenzählte.Von Kleinigkeiten wie von Prellschüssen und Rissen abgesehen, hatte ich im ganzen mindestens vierzehn Treffer aufgefangen, nämlich fünf Gewehrgeschosse, zwei Granatsplitter, eine Schrapnellkugel, vier Handgranaten – und zwei Gewehrgeschoßsplitter, die mit Ein- und Ausschüssen gerade zwanzig Narben zurückließen, und dabei hatte ich es immerhin erreicht, daß elf von diesen Geschossen auf mich persönlich gezielt waren. Ich heftete daher das goldene Verwundetenabzeichen, das mir in diesen Tagen verliehen wurde, mit Recht an meine Brust.“ Er scheidet glorifiziert aus dem Krieg und hat auch dafür immer wieder selbst gesorgt. Der goldene Lorbeerkranz ist zudem schon unterwegs: „An einem dieser Tage, es war der 22. September 1918, erhielt ich vom General von Busse folgendes Telegramm: ´Seine Majestät der Kaiser hat Ihnen den Orden „Pour le mérite“ verliehen. Ich beglückwünsche Sie im Namen der ganzen Division.“ Er wird ihn später stolz bei vielen offiziellen Anlässen tragen.

Übertragung und Gegenübertragung auf den Autor des Buchs

Übertragung bedeutet die spontane Reaktion auf einen Menschen oder ein Kunstwerk, noch bevor eine auch die unbewusste Begegnung zwischen zwei Partnern im therapeutischen Dialog eingesetzt hat. Der jugendlichekämpferische Heißsporn in mir reagierte widerwillig mit Staunen und Bewunderung: „So also sieht echtes kriegerisches Heldentum aus!“, zum ich als Jugendlicher gar nicht besonders tapfer war.

Der Analytiker in mir spürt widersprüchliche Gefühle von Abwehr, gemischt aus Beklommenheit, Wut über die Angeberei, Abneigung bis hin zu moralischem Ekel, Ungeduld über die ewige Wiederholung des suchtartigen Kampf- und Tötungswillens, und das drängende Bedürfnis nach Lob, Bewunderung und Verehrung. Einem seiner zahlreichen Biographen, Thomas Amos („Ernst Jünger“, rowohlt-verlag, Reinbek 2011) erging es ähnlich, wenn auch in milderer, aber durchgehend abschätziger Form, die die moralische Geringschätzung immer durchscheinen lässt wie eine eigene Gegenübertragung nach jahrelanger Beschäftigung. Einige Zitate:

Bei der Einschätzung der „Würde“ für den Goethepreis der Stadt Frankfurt (1982) schreibt er: „Jünger hat kein nennenswertes Engagement vorzuweisen, das ihn als Demokrat ausweisen würde: Die Kriegsbücher und die in Richtung Tendenzliteratur gehenden antirepublikanischen Hasstiraden der 1920er Jahre scheinen dafür weitgehend ungeeignet. Außerdem war sein elitäres Gehabe nie geeignet, ihn zu einem wahrhaft volkstümlichen Dichter zu machen.“ Er notiert die extreme Selbstbezogenheit Jüngers, der sein Erleben kaum mit der Bedeutung und dem Verlauf des Krieges in Zusammenhang bringt. Die aus ihren historischen, ethischen und kausalen Zusammenhängen gelösten Kampfhandlungen … finden in einer Art Vakuum statt, das die Soldaten lediglich bei Fronturlaub kurz verlassen.“ Auch Amos erwähnt „eine virtuose Selbststilisierungs- beziehungsweise Mystifizierungsstrategie mit egomanischen Zügen.“ sowie eine „folgenlos bleibende Emotionalität“ und „dandyhafte Allüren“. „In der Buchfassung der /Stahlgewitter /ist Jünger darauf bedacht, einen moralisch absolut integren, das heißt asexuellen Offizier abzugeben.“ Amos notiert die „Ästhetisierung des Krieges“ mit dem „Mythos des archetypischen Frontkämpfers“ nach der griechisch-römischen Antike und „die Transformation des Hässlich-Abstoßenden zu Schönem“, bei später noch Jahrzehnte lang durchgehaltener erstarrter Position: „Die grundsätzlich affirmative Haltung Jüngers zum Krieg unterliegt … keiner erkennbaren Veränderung .. und keiner Revision.“, wobei die von Jünger unentwegt erwähnte Tapferkeit der Soldaten die sogenannte Dolchstoßlegende ausdrücklich bestätigt.“ Über Jüngers „Nihilismus“ heißt es: „Jüngers Ästhetizismus hat alle Skrupel abgeworfen.“

Eine Pathologie auf mehreren Ebenen

Es wäre ohne zweifel eine grobe Ungerechtigkeit, eine analytische Diagnose allein dem Subjekt Ernst Jünger zuzuschieben. Es gibt die historische Diagnose des deutschen wie des kaiserlichen Militarismus, der das Ideal des Kampfes, der imperialistischen Expansion, der immer drängender werdenden Kriegsziele schon kurz vor Kriegsbeginn, wie die pädagogischen kämpferischen Ertüchtigungsziele für die deutsche Jugend

Es gibt daneben oder hinein verstrickt die verschiedenen Kriegstheorien, die mit der „Blutpumpe“ des späteren Generalstab mit den destruktiven Berechnungen des unterschiedlichen völkermörderischen Blutzolls in den Materialschlachten eine Entmenschlichung des Umgangs mit den Millionenheeren des immer wieder propagandistisch aufgehetzten Rekrutenheeres. Aber es gibt auch daneben die zynische Verherrlichung des todesmutigen Einzelkämpfers oder der verschworenen Gruppe, die unter dem voran stürmenden Führers und der Fahne trotz der Massenschlacht auch noch massenhafte örtliche und begrenzte Siege davon tragen will, unter dem Banner des rücksichtslosen Opfermutes, der mit dem Massensegen des Ordensverleihung immer neu zum Kampf anstachelt. Denn hinter den örtlichen Stoßtruppsführern stehen die Kommando-Pyramiden der ebenso ordenssüchtigen Befehlshabern, die sich auszeichnen und immer neue Ränge von Befehlsgewalt erreichen wollen. Der Krieg war anfangs zu einem nationalen Delirium geworden, in dem ein kollektiver Narzissmus wütete, der von militärischer Niederlage nichts wissen wollte und deren Protokollierung feige der jungen zivilen Regierung überließ, die das Weiterwuchern des Militarismus kaum zu bändigen vermag.

Ohne Schuld, Scham und Reue

Dass Jünger 1982 nach kontroversen Diskussionen den Goethepreis erhielt, lässt sich vermutlich nur durch den damaligen Höhepunkt der deutschen Schlussstrichmentalität in den achtziger Jahren erklären, mit dem Wunsch, die Aufarbeitung der historischen Katastrophen endlich zu beenden und zu neuem nationalen Stolz zurück zu kehren. Der lange aufrechterhaltene Mythos von der „sauberen Wehrmacht“ ist erst Jahrzehnte später zusammengebrochen.